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Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Titel: Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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statt Entspannung bewirkte der Schnaps zusammen mit der Magie bei ihm Abstumpfung, die Erschöpfung wurde nicht ausgeglichen, sondern verstärkt.
    Es sieht so aus, dass Alkohol und Magie nur auf Iola und Shani so gewirkt haben, wie sie sollten.
    Er drehte sich um und erblickte auf den Gesichtern beider Mädchen glänzende, silbrige Spuren von Tränen.
    »Interessant«, sagte er und leckte sich die tauben, fühllosenLippen, »wer in dieser Schlacht gesiegt hat. Weiß das jemand?«
    Marti wandte ihm das Gesicht zu, hüllte sich aber weiterhin in lyrisches Schweigen. Die Grillen zirpten in den Akazien, Weiden und Erlen am Goldenen Teich, die Frösche quakten. Die Verwundeten stöhnten, baten um Hilfe, seufzten. Und starben. Shani und Iola kicherten unter Tränen.
     
    Marti Sodergren starb zwei Wochen nach der Schlacht. Sie hatte sich mit einem Offizier von der Freikompagnie der Condottieri eingelassen. Sie nahm dieses Abenteuer leicht. Im Gegensatz zu dem Offizier. Als Marti, die die Abwechslung liebte, sich mit einem temerischen Rittmeister einließ, erstach sie der vor Eifersucht rasende Condottiere mit dem Messer. Er wurde dafür aufgehängt, doch die Heilerin war nicht zu retten.
     
    Rusty und Iola starben ein Jahr nach der Schlacht in Maribor, während des stärksten Ausbruchs des Blutfluss-Fiebers, der Seuche, die auch der Rote Tod genannt wurde oder – nach dem Namen des Schiffes, auf dem sie eingeschleppt worden war – die Catriona-Pest. Damals flohen sämtliche Ärzte und die meisten Priester aus Maribor. Rusty und Iola blieben selbstverständlich. Sie heilten, denn sie waren Ärzte. Dass es gegen den Roten Tod keine Mittel gab, spielte für sie keine Rolle. Sie steckten sich beide an. Er starb in ihren Armen, mit dem kräftigen, Vertrauen weckenden Halt ihrer großen, hässlichen Bäuerinnenhände. Sie starb vier Tage darauf. Einsam.
    Shani starb zweiundsiebzig Jahre nach der Schlacht. Als berühmte und von Hochachtung umgebene emeritierte Dekanin der medizinischen Fakultät an der Universität von Oxenfurt. Generationen von angehenden Chirurgen wiederholten ihren berühmten Scherz: »Nähe Rotes mit Rotem, Gelbes mit Gelbem, Weißes mit Weißem zusammen. Dann wird es schon stimmen.«
    Kaum jemand bemerkte, dass die Frau Dekanin jedesmal,wenn sie diesen Spruch sagte, sich verstohlen eine Träne wegwischte.
    Kaum jemand.
     
    Die Frösche quakten, die Grillen zirpten inmitten der Weiden am Goldenen Teich. Shani und Iola kicherten unter Tränen.
    »Interessant«, wiederholte Milo Vanderbeck, Halbling, Feldchirurg, bekannt als Rusty. »Interessant, wer wohl gesiegt hat?«
    »Rusty«, sagte Marti Sodergren lyrisch. »Glaub mir, das ist das Letzte, worum ich mir an deiner Stelle Sorgen machen würde.«

 
    Manche von den Flämmchen waren hoch und kräftig, sie leuchteten hell und lebhaft, andere aber waren ganz klein, unstet und zittrig, und ihr Licht nahm ab und verging. Ganz am Ende jedoch war ein Flämmchen, klein und so schwach, dass es kaum glomm, kaum flackerte, bald mit großer Mühe aufflammte, bald beinahe vollends erlosch.
    »Wessen ist dieses verlöschende Feuerchen?«, fragte der Hexer.
    »Deins«, erwiderte der Tod.
     
    Flourens Delannoy,
    Märchen und Volkssagen

Das neunte Kapitel
    Die Hochebene, fast bis hin zu den fernen, im Dunst blaugrau verschwimmenden Berggipfeln, glich einem wahren steinernen Meer, überall in Buckeln oder Graten gewellt; überall ragten wie Zähne steile Riffe empor. Den Eindruck verstärkten Schiffswracks. Dutzende von Wracks. Von Galeeren, Galeassen, Koggen, Karavellen, Briggs, Holken, Drachenbooten. Einige schienen sich erst seit kurzem hier zu befinden, andere waren Haufen von kaum zu erkennenden Brettern und Balken, die offensichtlich seit Dutzenden, wenn nicht Hunderten von Jahren hier lagen.
    Manche von den Schiffen lagen kieloben, andere, auf die Seite gekippt, sahen aus, als hätten höllische Stürme und Wogen sie an Land geworfen. Wieder andere machten den Eindruck, als schwämmen, segelten sie mitten auf diesem steinernen Ozean. Sie standen gerade und aufrecht, die Galions kühn nach vorn gereckt, die Masten zum Zenit, mit wehenden Resten von Segeln, Wanten und Stags. Sie hatten sogar ihre Geisterbesatzungen – zwischen verfaulten Brettern festgeklemmte und in Leinen verstrickte Skelette, tote Matrosen, für immer auf endloser Fahrt.
    Vom Erscheinen eines Reiters alarmiert, vom Hufschlag aufgeschreckt, stiegen von Masten, Rahen, Leinen und Gerippen

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