Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
auf, versuchte, die Zähne zusammenzubeißen, doch sie klapperten in wildem Stakkato.
Iola runzelte die Stirn. »Jechen, das sieht übel aus … Oje, Jarre, Jarre … Du wirst sehen, Mutter Nenneke wird böse sein … Komm mit.«
Sie sah ihn erbleichen, als er es erblickte. Als er den unter der Zeltplane hängenden Gestank roch. Er wankte. Sie stützte ihn. Sie sah, wie er auf den blutbefleckten Tisch schaute. Auf den dort liegenden Menschen. Auf den Chirurgen, einen kleinen Halbling, der plötzlich hochsprang, mit den Füßen stampfte, entsetzlich fluchte und das Skalpell zu Boden warf.
»Verdammt! Scheiße! Warum? Warum ist das so? Warum muss das so sein?«
Niemand antwortete auf diese Frage.
»Wer war das?«
»Der Heergraf Bronibor«, erklärte Jarre mit schwacher Stimme, während er mit seinem leeren Blick geradeaus schaute. »Unser Kommandeur … Wir haben die Reihen fest geschlossen. Befehl. Wie eine Mauer. Aber Melfi haben sie getötet …«
»Herr Rusty«, bat Iola. »Diese Bursche ist ein Bekannter von mir … Er ist verwundet …«
»Er hält sich auf den Beinen«, urteilte der Chirurg kalt. »Und hier wartet einer, der fast am Ende ist, auf eine Trepanation. Hier ist kein Platz für Vetternwirtschaft …«
In diesem Augenblick wurde Jarre mit großem Gespür für Dramatik ohnmächtig und stürzte zu Boden.
Der Halbling schnaubte. »Na schön, auf den Tisch mit ihm«, befahl er. »Oho, ein schön zugerichteter Arm. Was hält den eigentlich noch, fragt sich? Wohl der Ärmel? Abbinden, Iola! Kräftig! Und wag mir ja nicht zu weinen! Shani, gib die Säge her.«
Die Säge fraß sich mit widerwärtigem Knirschen in den Knochen oberhalb des zerschmetterten Ellenbogens. Jarre kam zu sich und brüllte los. Grässlich, aber kurz. Denn als der Knochen nachgab, wurde er sofort wieder ohnmächtig.
So lag also die Macht Nilfgaards auf den Feldern von Brenna in Schutt und Asche, und dem Vormarsch des Kaiserreichs nach Norden wurde schließlich Einhalt geboten. An Gefallenen und Gefangenen verlor das Kaiserreich bei Brenna vierundvierzigtausend Mann. Die Blüte der Ritterschaft war gefallen, die Elitekavallerie. Gefallen, in Gefangenschaft geraten oder verschollen waren Heerführer von solcher Statur wie Menno Coehoorn, Braibant, de Mellis-Stoke, van Lo, Tyrconnel, Eggebracht und andere, deren Namen in unseren Archiven nicht erhalten geblieben sind.
So also wurde Brenna zum Anfang vom Ende. Doch es muss gesagt sein, dass diese Schlacht ein kleiner Baustein im Gebäude war und wenig Gewicht gehabt hätte, wenn die Früchte des Sieges nicht klug genutzt worden wären. Es muss daran erinnert werden, dass Jan Natalis, statt sich auf den Lorbeeren auszuruhen und vor Stolz zu platzen, statt auf Ehrungen und Huldigungen zu warten, nahezu ohne Atempause nach Süden vorstieß. Eine Kavallerieeinheit unter Adam Pangratt und Julia Abatemarco zerschlug zwei Divisionen der Dritten Armee, die Menno Coehoorn verspätet zu Hilfe kommen wollten, zerschmetterte sie derart, dass
nec nuntius gladis
. Als die Nachricht davon den Rest der Heeresgruppe »Mitte« erreichte, suchte diese schändlich das Weite und wich eilends über die Jaruga zurück, und da Foltest und Natalis ihnen auf den Fersen folgten, verloren die Kaiserlichen den ganzen Tross und sämtliche Belagerungsmaschinen, mit denen sie in ihrem Hochmut gedacht hatten, Wyzima, Gors Velen und Nowigrad zu erobern.
Und wie eine Lawine, die von den Bergen herunterkommt, immer mehr Schnee mit sich reißt und größer wird, hatte auch Brenna immer gravierendere Folgen für Nilfgaard. Es brachen schwere Zeiten für die Armee »Verden« unter Fürst de Wette an, der die Kaper von den Skellige-Inseln und König Ethain von Cidaris in einem Kleinkrieg viel Ungemach bereiteten. Als aber de Wette von Brenna erfuhr, als ihn die Botschaft erreichte, dass
König Foltest und Jan Natalis in Eilmärschen gegen ihn zogen, ließ er augenblicklich zum Rückzug blasen und floh Hals über Kopf über den Fluss nach Cintra, wobei er den Fluchtweg mit Leichen säumte, denn auf die Nachricht von den Nilfgaarder Niederlagen hin war der Aufstand in Verden von neuem entflammt. Nur in Nastrog, Rosrog und Bodrog, den nicht eroberten Festungen, blieb eine starke Besatzung, die erst nach dem Frieden von Cintra dort in Ehren und mit den Standarten abzog.
In Aedirn indes führte die Nachricht von Brenna dazu, dass die verfeindeten Könige Demawend und Henselt einander die Hand
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