Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
krächzend Wolken schwarzer Vögel auf. Einen Augenblick langstrichen sie über den Himmel, kreisten als Schwarm über dem Rande des Abgrunds, an dessen Grund grau und glatt wie Quecksilber ein See lag. Am Rande, teils mit Türmen über die Wracks aufragend, teils mit in die senkrechte Felswand eingefügten Bastionen über dem See hängend, war eine dunkle und düstere Feste zu sehen. Kelpie begann zu tänzeln, zu schnauben, die Ohren zu bewegen, sie scheute vor den Wracks, den Skeletten, vor dieser ganzen Landschaft des Todes. Vor den kreisenden schwarzen Vögeln, die schon wieder zurückkehrten, sich wieder auf die gebrochenen Masten und Rahen setzten, auf Wanten und Schädel. Die Vögel hatten verstanden, dass sie den einsamen Reiter nicht zu fürchten brauchten. Dass, wenn sich hier jemand zu fürchten hatte, es ebendieser Reiter war.
»Ruhig, Kelpie«, sagte Ciri mit veränderter Stimme. »Das ist das Ende des Weges. Das ist der richtige Ort und die richtige Zeit.«
Sie erschien vor dem Tor, wer weiß, woher, tauchte wie ein Gespenst zwischen den Wracks auf. Die Wachposten am Tor bemerkten sie als Erste, alarmiert vom Krächzen der Saatkrähen; jetzt schrien sie, gestikulierten, zeigten mit Fingern auf sie, riefen andere herbei.
Als sie den Torturm erreicht hatte, herrschte dort schon Gedränge. Und aufgeregtes Stimmengewirr. Alle starrten sie an. Die wenigen, die sie schon kannten und vorher gesehen hatten, wie Boreas Mun und Dacre Silifant. Und die viel zahlreicheren, die nur von ihr gehört hatten – neu angeworbene Leute Skellens, Söldner und gewöhnliche Banditen aus Ebbing und Umgebung, die jetzt verwundert auf das grauhaarige Mädchen mit der Narbe im Gesicht und dem Schwert auf dem Rücken schauten. Auf die schöne Rappstute, die den Kopf hoch erhoben hielt, ein wenig schnaubte und mit den Hufeisen über die Platten des Hofes klapperte.
Das Stimmengewirr ebbte ab. Es wurde sehr still. Die Stutehob die Hufe wie eine Ballerina, die Eisen schlugen wie Hämmer auf einen Amboss. Es dauerte lange, bis man ihr endlich den Weg versperrte, Partisanen und Spontons kreuzte. Jemand streckte unsicher und zaghaft die Hand nach den Zügeln aus. Das Pferd schnaubte.
»Führt mich«, sagte das Mädchen mit klingener Stimme, »zum Herrn dieses Schlosses.«
Ohne selbst zu wissen, warum er es tat, hielt ihr Boreas Mun den Steigbügel und reichte ihr die Hand als Stütze. Andere hielten das stampfende und schnaubende Pferd.
»Erkennt Ihr mich?«, fragte Boreas leise. »Wir sind uns ja schon begegnet.«
»Wo?«
»Auf dem Eis.«
Sie blickte ihm direkt in die Augen. »Damals habe ich mir eure Gesichter nicht angesehen«, sagte sie achtlos.
»Du warst die Dame vom See.« Er nickte ernst. »Warum bist du hergekommen, Mädchen? Wozu?«
»Zu Yennefer. Und zu meiner Vorherbestimmung.«
»Zum Tod wohl eher«, flüsterte er. »Das ist das Schloss Stygga. An deiner Stelle würde ich so weit wie möglich weg von hier fliehen.«
Wieder blickte sie ihn an. Und Boreas verstand sofort, was sie mit diesem Blick sagen wollte.
Es erschien Stefan Skellen. Er schaute das Mädchen lange an, die Arme vor der Brust verschränkt. Schließlich bedeutete er ihr mit einer energischen Geste, ihm zu folgen. Sie ging wortlos, ringsum von Bewaffneten eskortiert.
»Ein seltsames Mädel«, murmelte Boreas Mun. Und zuckte zusammen.
»Zum Glück ist sie nicht mehr unsere Sorge«, erklärte Dacre Silifant vorwurfsvoll. »Und über dich wundere ich mich, dass du so mit ihr geredet hast. Sie war es, die Hexe, die Vargas und Fripp umgebracht hat, und später Ola Harsheim …«
»Der Uhu hat Harsheim getötet«, schnitt ihm Boreas das Wort ab. »Nicht sie. Sie hat uns das Leben geschenkt, dort auf dem Eis, obwohl sie uns alle wie Welpen hätte abschlachten und ersäufen können. Alle. Den Uhu auch.«
»Sowas aber auch.« Dacre spuckte auf die Platten des Hofes. »Jetzt wird er ihr dieses Mitleid vergelten, zusammen mit dem Zauberer und Bonhart. Du wirst sehen, Mun, wie sie sie nach allen Regeln der Kunst fertigmachen. Die Haut werden sie ihr in schmalen Streifen abziehen.«
»Das will ich gern glauben«, knurrte Boreas. »Weil sie Schinder sind. Und wir sind auch nicht besser, wenn wir bei ihnen dienen.«
»Und haben wir denn einen Ausweg? Haben wir nicht.«
Jemand von Skellens Söldnern schrie plötzlich leise auf, jemand fiel ein. Jemand begann zu fluchen, jemand stöhnte. Jemand wies schweigend mit der Hand.
Auf den Zinnen, den
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