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Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Titel: Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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ein drittes. Der dritte Schlag schleuderte Cahir fort. Er sah die Klinge blitzen. Er parierte instinktiv.
    Zu langsam.
     
    Es war eine sorgsam befolgte Tradition im Geschlecht der Dyffryns, dass bei dem in der Rüstkammer des Schlosses aufgebahrten Leichnam eines gefallenen Verwandten alle Männer des Geschlechts einen ganzen Tag und eine ganze Nacht die Totenwache hielten. Die Frauen, in einem entfernten Flügel des Schlosses versammelt, um die Männer nicht zu stören, sie nicht abzulenken und ihre Gedankengänge nicht zu verwirren, schluchzten, hatten Krämpfe und wurden ohnmächtig. Wenn sie wieder zu sich gekommen waren, ging es weiter mit Schluchzen und Krämpfen. Und da capo.
    Krämpfe und Tränen waren sogar bei Frauen, soweit es sich um vicovarische Adlige handelte, eine ungern gesehene Taktlosigkeit und eine große Schmach. Die Dyfryns jedoch hatten diese und keine andere Tradition, und niemand hatte sie geändert. Und niemand gedachte sie zu ändern.
    Der zehnjährige Cahir, der jüngste Bruder des in Nasair gefallenen und nun in der Rüstkammer liegenden Aillil, war im Sinne von Brauch und Tradition noch kein Mann. Er durfte nicht zu den an dem offenen Sarg versammelten Männern, durfte nicht zusammen mit seinem Großvater Gruffyd, seinem Vater Ceallach, seinem Bruder Dheran und der ganzen Schar von Onkeln und Vettern dasitzen und schweigen. Zusammen mit Großmutter, Mutter, drei Schwestern und der ganzen Schar von Tanten und Basen in Krämpfe verfallen und ohnmächtig werden durfte er natürlich auch nicht. Gemeinsam mit den übrigen minderjährigen Verwandten, die zu Exetien, Begräbnis und Leichenschmaus nach Darn Dyffra gekommen waren, trieb Cahir Unfug auf den Mauern. Und er prügelte sich mit denen, die meinten, die Tapfersten der Tapferen in den Kämpfen um Nasair seien ihre eigenen Väter und großen Brüder und nicht Aillil aep Ceallach.
    »Cahir! Komm her zu mir, Söhnchen!«
    Auf dem Kreuzgang standen Mawr, Cahirs Mutter, und ihre Schwester, Tante Cinead var Anahid. Mutters Gesicht war rotund vom Weinen so angeschwollen, dass Cahir geradezu Angst bekam. Es erschütterte ihn, dass das Weinen sogar aus einer derart schönen Frau wie seiner Mutter solch ein Scheusal machen konnte. Er nahm sich fest vor, nie und nimmer zu weinen.
    »Merke dir, Söhnchen«, schluchzte Mawr und drückte den Jungen so fest an den Schoß, dass ihm die Luft wegblieb. »Merke dir diesen Tag. Vergiss nicht, wer dein Brüderchen Aillil umgebracht hat. Das haben die verfluchten Nordlinge getan. Deine Feinde, Söhnchen. Du musst sie immer hassen. Du musst dieses verfluchte Volk von Verbrechern hassen!«
    »Ich werde sie hassen, Frau Mutter«, versprach Cahir ein wenig verwundert. Erstens war sein Bruder Aillil im Kampf gefallen, ehrenhaft, hatte den glorreichen und beneidenswerten Tod eines Kriegers gefunden, was gab es da also zu weinen? Zweitens war es kein Geheimnis, dass Großmutter Eviva, Mawrs Mutter, von Nordlingen abstammte. Der Papa hatte die Großmutter mehr als einmal »die Wölfin aus dem Norden« genannt. Hinter ihrem Rücken, versteht sich.
    Aber wenn die Mutter es jetzt so wollte   …
    »Ich werde sie hassen«, gelobte er eifrig. »Ich hasse sie schon! Und wenn ich groß bin und ein richtiges Schwert habe, ziehe ich in den Krieg und schlage ihnen die Köpfe ein! Du wirst es sehen, Frau Mutter!«
    Die Mama holte tief Luft und begann Krämpfe zu kriegen. Tante Cinead stützte sie.
    Cahir ballte die kleinen Fäuste und zitterte vor Hass. Vor Hass auf die, die seine Mama gekränkt und bewirkt hatten, dass sie so hässlich wurde.
     
    Bonharts Hieb spaltete ihm Schläfe, Wange und Mund. Cahir ließ das Schwert los und wankte, und der Jäger schlug ihm aus halber Drehung heraus zwischen Hals und Schlüsselbein. Cahir stürzte zu Füßen der Marmorgöttin, sein Blut besprengte wie ein heidnisches Opfer den Sockel der Statue.
     
    Es krachte, der Fußboden begann zu beben, von einem Panoplium an der Wand fiel polternd ein Schild herab. Durch den Korridor zogen Schwaden von beißendem Rauch. Ciri wischte sich das Gesicht ab. Das blonde Mädchen, das sie stützte, hing an ihr wie ein Mühlstein.
    »Schneller   … Lass uns schneller laufen   …«
    »Ich kann nicht schneller«, sagte das Mädchen. Und sackte plötzlich schwer zu Boden. Ciri sah entsetzt, wie unter der Sitzenden hervor, aus ihrem durchtränkten Hosenbein, eine rote Lache hervortrat und rasch größer wurde.
    Das Mädchen war leichenblass.
    Ciri

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