Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
Tancarville in der Ensenada von Lan Exeter.«
»Und das von den Elfen gemalte Porträt Francesca Findabairs, das in der Pinakothek von Vengerberg hängt?«
»Eine Fälschung. Als das
Tor
geöffnet wurde und die Elfen fortgingen, haben sie alle Kunstwerke mitgenommen oder vernichtet, sie haben kein einziges Bild zurückgelassen. Wir wissen nicht, ob die Aster aus den Tälern wirklich so schön war, wie die Überlieferung sagt. Uns fehlt jedes Wissen über das Aussehenvon Ida Emean. Und da die Bilder von Zauberinnen in Nilfgaard sehr sorgfältig und gründlich vernichtet wurden, haben wir keine Ahnung, wie Assire var Anahid und Fringilla Vigo wirklich aussahen.«
»Nehmen wir also an und vereinbaren wir«, seufzte Condwiramurs, »dass sie alle gerade so aussahen, wie man sie später porträtiert hat. Würdevoll, gebieterisch, gütig und weise, vorausschauend, gerecht und edel. Und schön, berückend schön … Nehmen wir es an. Damit lebt es sich irgendwie leichter.«
Die täglichen Übungen auf Inis Vitre wurden allmählich zur etwas langweiligen Routine. Die Analyse von Condwiramurs’ Träumen, die schon beim Frühstück begann, zog sich für gewöhnlich bis zum Mittag hin. Die vor dem Essen verbleibende Zeit verbrachte die Adeptin mit Spaziergängen – und auch die wurden bald schon zum Einerlei. Kein Wunder: Im Laufe einer Stunde konnte man die Insel zweimal umrunden, wobei man derart spannende Dinge wie Granit, Zwergkiefern, Kies, Teichmuscheln, Wasser und Möwen zur Genüge sah.
Nach dem Essen und einer langen Siesta folgten Diskussionen, die Durchsicht von Büchern, Pergamentrollen und Manuskripten, die Betrachtung von Bildern, Grafiken und Mappen. Und lange, sich bis in die Nacht hinziehende Dispute über die Wechselbeziehungen von Legende und Wahrheit …
Und dann kamen die Nächte und die Träume. Verschiedene Träume. Der Zölibat machte sich bemerkbar. Statt von den Rätseln der Hexerlegende träumte Condwiramurs von dem Fischerkönig in ganz unterschiedlichen Situationen, von durchweg unerotischen bis zu äußerst erotischen. In einem durchweg unerotischen Traum zog der Fischerkönig sie an der Angelschnur im Boot hinterher. Er ruderte langsam und lustlos, also ging sie im See unter, versank, bekam keine Luft, und dazu quälte sie eine schreckliche Furcht – sie spürte, wie sich etwas Entsetzliches vom Grunde des Sees löste und emporstieg, etwas,das den hinterm Boot hergezogenen Köder schlucken wollte, der sie war. Gerade, gerade sollte dieses Etwas sie packen, als der Fischerkönig sich kräftiger in die Riemen legte, sie aus der Reichweite der Kiefer jenes unsichtbaren Raubtiers zog. Vorangezogen, erstickte sie im Wasser, und da erwachte sie.
In einem unzweifelhaft erotischen Traum kniete sie am Boden des schwankenden Boots, über die Bordwand gebeugt, und der Fischerkönig hielt sie am Genick fest und bumste sie voller Begeisterung, wobei er knurrte, krächzte und spuckte. Neben der physischen Annehmlichkeit empfand Condwiramurs ein in den Eingeweiden bohrendes Entsetzen – was, wenn Nimue sie beide erwischte? Plötzlich erblickte sie im Wasser des Sees das wogende, bedrohliche Gesicht der kleinen Zauberin … und erwachte schweißgebadet.
Da stand sie auf, öffnete das Fenster, ließ die Nachtluft auf sich eindringen, den Mondschein, den vom See heranziehenden Nebel.
Und schlief weiter.
Der Turm von Inis Vitre besaß eine Terrasse, die auf Säulen über den See ragte. Anfangs hatte Condwiramurs diesem Umstand keine Beachtung geschenkt, doch schließlich kam sie ins Grübeln. Die Terrasse war seltsam, weil absolut unzugänglich. Von keinem der ihr bekannten Räume des Turms aus konnte man diese Terrasse betreten.
Da ihr klar war, dass die Wohnsitze von Zauberinnen nicht ohne solche geheimen Absonderlichkeiten auskommen, stellte Condwiramurs keine Fragen. Nicht einmal, als sie bei einem Spaziergang am Seeufer entlang sah, wie Nimue sie von der Terrasse herab beobachtete. Die also nur für Unbefugte und Laien unzugänglich war.
Ein wenig verärgert, dass man sie zu den Laien zählte, tat sie so, als sei nichts geschehen. Doch nicht lange, und das Geheimnis klärte sich auf.
Das geschah nach einer Folge von Träumen, die von Aquarellen Wilma Wesselys ausgelöst worden waren. Offensichtlich fasziniert von jenem Teil der Legende, hatte die Malerin alle ihre Werke Ciri im Schwalbenturm gewidmet.
»Sonderbare Träume habe ich nach diesen Bildern«, beklagte sich die
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