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Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Titel: Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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ab. »Jammer mir nicht die Ohren voll. Den Kopf haben dir die Schwarzen nicht abgerissen, und du bist doch ein Kopfmensch, arbeitest mit dem Kopf. Was guckst du so? Ich bin vom Dorf, aber ich hab Augen und Ohren. Und die sind hell genug, so eine Kleinigkeit wahrzunehmen wie die Art, in der jemand redet, richtig herrenmäßig und gelehrt. Und außerdem   …«
    Sie neigte den Kopf, hustete. Jarre hustete auch. Der Wagen sprang.
    »Und außerdem«, schloss das Mädchen, »habe ich gehört,was andere gesagt haben. Dass du ein Schreiber bist. Und ein Priester in einem Tempel. Da siehst du selbst, dass diese Hand   … Pah, schnurz und weiter nichts.«
    Der Wagen war etliche Zeit nicht mehr gesprungen, aber Jarre und Lucienne schienen das nicht zu bemerken. Und es störte sie auch nicht.
    »Ich aber«, sagte das Mädchen nach einer Weile, »komme mit Gelehrten gut zurecht. Da war mal einer   … früher   … Der hat mir den Hof gemacht   … Gelehrt war er und akademisch gebildet. Das konnte man schon am Namen merken.«
    »Wie hieß er denn?«
    »Semester.«
    »Heda, Fräulein«, rief hinter ihrem Rücken der Gefreite Vachtl, ein boshafter und mürrischer Mann, der in den Kämpfen bei Mayena versehrt worden war. »Hau mal den Wallachen mit der Peitsche untern Hintern, deine Fuhre kriecht ja wie Rotz über die Wand!«
    »Dalli!«, setzte ein anderer Krüppel hinzu, während er sich an dem unterm hochgeschlagenen Hosenbein sichtbaren Beinstumpf kratzte, den glänzendes Narbengewebe bedeckte. »Diese Einöde hab ich längst satt! Hab Sehnsucht nach der Schenke, denn ich sag euch, ich würd gern Bier trinken. Können wir nicht zügiger fahren?«
    »Können wir.« Lucienne wandte sich auf dem Bock um. »Aber wenn uns auf einem Steinbrocken eine Achse oder eine Radnabe bricht, dann werdet ihr eine Woche oder zwei kein Bier, sondern bloß Regenwasser und Birkensaft trinken, während ihr auf einen Ersatzwagen wartet. Selber weggehen könnt ihr nicht, und ich werd euch nicht auf den Buckel nehmen.«
    »Wirklich schade.« Vachtl bleckte die Zähne. »Denn nachts träume ich, dass du mich auf dich nimmst. Vom Rücken, das heißt: von hinten. So mag ich’s. Und du, Fräulein?«
    »Du hinkender Trottel!«, schrie Lucienne. »Du stinkender Bock! Du   …«
    Sie hielt inne, als sie sah, dass die Gesichter aller auf dem Wagen sitzenden Invaliden plötzlich totenblass wurden.
    »Mutter«, stammelte jemand. »Dabei war es so nahe nach Hause   …«
    »Wir sind erledigt«, sagte Vachtl leise und ganz emotionslos. Er stellte einfach die Tatsache fest.
    Und da haben sie gesagt, schoss es Jarre durch den Kopf, es gäbe keine Eichhörnchen mehr. Sie hätten sie schon alle getötet. Dass, wie sie es ausdrückten, die Elfenfrage schon geklärt sei.
    Es waren sechs Berittene. Doch bei näherem Hinsehen zeigte sich, dass es sechs Pferde waren, aber acht Berittene. Zwei Tiere trugen je zwei Reiter. Alle liefen steif und unrhythmisch, die Köpfe tief gesenkt. Sie sahen elend aus.
    Lucienne seufzte laut.
    Die Elfen kamen näher. Sie sahen noch elender aus als die Pferde.
    Nichts war von ihrem Stolz geblieben, von ihrem ausgefeilten, hervorgekehrten, charismatischen Anderssein. Die Kleidung, für gewöhnlich sogar bei den Guerillakämpfern von den Kommandos elegant und schön, war schmutzig, zerrissen, von Flecken bedeckt. Die Haare, ihr Stolz und ihre Zierde, waren wirr, von klebrigem Schmutz und getrocknetem Blut verfilzt. Ihre großen Augen, für gewöhnlich prächtig und ohne jeden Ausdruck, waren jetzt Abgründe von Panik und Verzweiflung.
    Nichts war von ihrem Anderssein geblieben. Tod, Entsetzen, Hunger und Hoffnungslosigkeit hatten bewirkt, dass sie gewöhnlich geworden waren. Sehr gewöhnlich.
    Sie erweckten nicht einmal mehr Furcht.
    Einen Moment lang glaubte Jarre, sie würden vorüberreiten, einfach die Straße überqueren und im Wald auf der anderen Seite verschwinden, ohne den Wagen und seine Passagiere auch nur eines Blickes zu würdigen. Dass von ihnen nur jener ganz unelfische, hässliche, widerliche Geruch zurückbleiben würde,den Jarre nur zu gut aus den Lazaretten kannte – der Geruch von Armut, Urin, Schmutz und eiternden Wunden.
    Sie ritten vorbei, ohne herzublicken.
    Nicht alle.
    Eine Elfe mit dunklen, langen, von getrocknetem Blut verklebten Haaren hielt das Pferd gleich neben dem Wagen an. Sie saß unelegant schief im Sattel, um den Arm in der durchnässten Schlinge zu schonen, um die summend Fliegen

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