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Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Titel: Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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von Siedlern.
     
    Sie gingen in einer langen Reihe. Langsam. Sie trugen ganz kleine Ranzen. Sie gingen in vollkommener Stille. Männer, Burschen, Frauen, Kinder. Sie gingen ohne zu murren, ohne Weinen, ohne ein Wort der Klage. Ohne Schreie, ohne verzweifeltes Jammern.
    Die Schreie und die Verzweiflung lagen in ihren Blicken. In den leeren Blicken von Menschen, denen man Unrecht getan hatte. Die man beraubt, geschlagen, vertrieben hatte.
    »Wer ist das?« Rittersporn kümmerte sich nicht um die Feindseligkeit, die aus den Augen des Offiziers sprach, der den Marsch beaufsichtigte. »Wen vertreibt ihr hier?«
    »Das sind Nilfgaarder«, knurrte von der Höhe seines Sattels der Unterleutnant, ein rosiges Bürschchen, das höchstens achtzehn Lenze zählte. »Nilfgaarder Siedler. Die in unser Land gekrochen sind wie die Schaben! Also fegen wir sie wie Schaben hinaus. So ist es in Cintra festgelegt und im Friedensvertrag niedergeschrieben worden.«
    Er beugte sich zur Seite, spuckte aus.
    »Aber ich«, fuhr er fort und schaute Rittersporn und den Hexer herausfordend an, »wenn es nach mir ginge, würde sie hier nicht lebendig rauslassen, die Dreckstücke.«
    »Aber ich«, ließ sich ein Unteroffizier mit grauem Schnurrbart vernehmen, während er seinen Vorgesetzten mit einem sonderbar abfälligen Blick bedachte, »wenn es nach mir ginge, würde sie in Ruhe auf den Höfen lassen. Ich würde keine guten Bauern aus dem Lande treiben. Ich würde mich freuen, dass mir die Landwirtschaft gedeiht. Dass es was zu fressen gibt.«
    »Ihr seid dumm wie Bohnenstroh, Wachtmeister«, knurrte der Unterleutnant. »Das ist Nilfgaard! Fremde Sprache, fremde Kultur, fremdes Blut. Über die Landwirtschaft würden wir uns freuen und dabei eine Schlange am Busen nähren. Verräter, bereit, uns den Dolch in den Rücken zu stoßen. Ihr denkt vielleicht, zwischen uns und den Schwarzen herrscht jetzt in alle Ewigkeit Einvernehmen? Nein, sollen sie gehen, wo sie hergekommen sind   … He, Soldat! Da hat einer ein Wägelchen! Nimm es ihm weg, dalli!«
    Der Befehl wurde überaus eifrig befolgt. Unter Zuhilfenahme nicht nur von Knüppeln und Fäusten, sondern auch von Absätzen.
    Rittersporn räusperte sich.
    »Was ist, passt Euch vielleicht etwas nicht?« Das Jüngelchen von einem Unterleutnant maß ihn mit Blicken. »Seid Ihr vielleicht ein Nilfgaardophiler?«
    Rittersporn schluckte. »Da seien die Götter vor.«
    Viele der an ihnen wie Automaten vorübergehenden Frauen und Mädchen hatten zerrissene Kleidung, geschwollene und blaugeschlagene Gesichter, Rinnsale von Blut an Schenkeln und Waden. Viele mussten gestützt werden, um gehen zu können. Rittersporn schaute auf Geralts Gesicht und begann sich zu fürchten.
    »Es ist Zeit für uns«, murmelte er. »Macht’s gut, Herr Soldat.«
    »Macht’s gut, ihr Herren Reisenden«, grüßte der Wachtmeister. Der Unterleutnant wandte nicht einmal den Kopf, ganz von der Beobachtung in Anspruch genommen, ob nicht etwa einerder Siedler mehr Gepäck trug, als im Frieden von Cintra festgelegt war.
    Die Kolonne der Siedler zog dahin. Sie hörten die hohen, verzweifelten, schmerzerfüllten Schreie einer Frau.
    »Geralt, nein«, stöhnte Rittersporn. »Mach nichts, ich flehe dich an   … Misch dich nicht ein   …«
    Der Hexer wandte ihm das Gesicht zu, und Rittersporn kannte dieses Gesicht nicht.
    »Mich einmischen?«, wiederholte er. »Einschreiten? Jemanden retten? Den Kopf für irgendwelche edlen Prinzipien oder Ideen hinhalten? O nein, Rittersporn. Nicht mehr.«
     
    In einer Nacht, die unruhig war, von fernen Blitzen erhellt, weckte den Hexer abermals ein Traum. Auch diesmal war er sich nicht sicher, ob er nicht aus einem Albtraum geradewegs in den nächsten geraten war.
    Abermals erhob sich über den Resten des Lagerfeuers ein pulsierender Lichtschein und erschreckte die Pferde, abermals waren in dem Licht ein Schloss, die schwarzen Kolonnaden, der Tisch, die Frauen, die dort saßen.
    Zwei Frauen saßen nicht, sondern standen. Eine schwarzweiße und eine schwarz-graue.
    Yennefer und Ciri.
    Der Hexer stöhnte im Schlaf.
     
    Yennefer hatte recht gehabt, als sie ihr ziemlich kategorisch von Männerkleidung abgeraten hatte. Wie ein Bursche gekleidet, hätte sich Ciri jetzt töricht gefühlt, hier in diesem Saal, in Anwesenheit dieser schicken und mit funkelndem Schmuck behangenen Frauen. Sie war froh, dass sie sich in eine Kombination von Schwarz und Grau hatte kleiden lassen, es schmeichelte ihr, als sie

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