Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
die anerkennenden Blicke auf ihren geschlitzten Puffärmeln und der hohen Taille spürte, auf dem Samtband mit der kleinen Brillantbrosche in Form einer Rose.
»Bitte näher.«
Ciri zuckte leicht zusammen. Durchaus nicht nur beim Klang dieser Stimme. Wie sich zeigte, hatte Yennefer noch in einem anderen Punkt recht gehabt – sie hatte von einem Dekolleté abgeraten. Ciri hatte jedoch ihren Kopf durchgesetzt und hatte jetzt den Eindruck, dass ihr die Zugluft nur so um die Brüste brauste und ihre ganze Büste fast bis zum Nabel sich mit Gänsehaut überzog.
»Noch näher«, wiederholte die dunkelhaarige und dunkeläugige Frau, die Ciri kannte, an die sie sich von der Insel Thanedd her erinnerte. Und obwohl ihr Yennefer gesagt hatte, wen sie in Montecalvo antreffen würde, alle beschrieben und ihr alle Namen beigebracht hatte, begann Ciri augenblicklich, diese Frau in Gedanken Frau Eule zu nennen.
»Willkommen«, sagte Frau Eule, »in der Loge von Montecalvo. Fräulein Ciri.«
Ciri verneigte sich so, wie es ihr Yennefer empfohlen hatte, höflich, aber eher auf Männerart, ohne Damenknicks, ohne bescheiden und unterwürfig den Blick zu senken. Mit einem Lächeln beantwortete sie das ehrliche und liebe Lächeln von Triss Merigold, mit einem etwas tieferen Neigen des Kopfes den freundlichen Blick von Margarita Laux-Antille. Sie hielt die anderen acht Blicke aus, obwohl sie wie Bohrer waren. Wie stechende Lanzenspitzen.
»Bitte Platz zu nehmen.« Frau Eule nickte mit geradezu königlicher Geste. »Nein, nicht du, Yennefer! Nur sie. Du, Yennefer, bist nicht als Gast geladen, sondern als Übeltäterin, die verurteilt und bestraft werden soll. Solange die Loge nicht über dein Geschick entschieden hat, wirst du stehen bleiben.«
Für Ciri war das Protokoll im Handumdrehen erledigt. »Demzufolge werde auch ich stehen bleiben«, sagte sie keineswegs leise. »Ich bin hier ebenfalls kein Gast. Ich bin ebenfalls geladen worden, damit man mir mein Geschick verkünde. Dies zum Ersten. Und zum Zweiten ist Yennefers Schicksal auch dasmeine. Wie sie, so auch ich. Das ist nicht zu trennen. Mit allem Respekt.«
Margarita Laux-Antille lächelte und schaute ihr in die Augen. Die bescheidene, elegante Frau mit der Andeutung einer Hakennase, die nur Assire var Anahid, die Nilfgaarderin, sein konnte, nickte und trommelte mit den Fingern leicht auf der Tischplatte.
»Philippa«, meldete sich die Frau mit der Boa aus Silberfuchs zu Wort. »Wir brauchen wohl nicht derart prinzipiell zu sein. Zumindest nicht jetzt, nicht in diesem Moment. Das ist der runde Tisch der Loge. An ihm sitzen wir als Gleichrangige. Selbst, wenn über uns geurteilt werden soll. Ich glaube, wir können uns alle darauf einigen, dass …«
Sie sprach nicht zu Ende, ließ den Blick über die anderen Zauberinnen schweifen. Die wiederum drückten der Reihe nach durch Kopfnicken Einverständnis aus – Margarita, Assire, Triss, Sabrina Glevissig, Keira Metz, die beiden schönen Elfen. Nur die zweite Nilfgaarderin, Fringilla Vigo mit dem rabenschwarzen Haar, saß reglos da, sehr blass, und wandte den Blick nicht von Yennefer.
»Also gut.« Philippa Eilhart winkte mit der beringten Hand ab. »Setzt euch also beide. Bei meiner Gegenstimme. Aber die Einheit der Loge geht über alles. Das Interesse der Loge über alles. Die Loge ist alles, der Rest nichts. Ich hoffe, du verstehst das, Ciri?«
»Sehr gut.« Ciri dachte nicht daran, den Blick zu senken. »Vor allem, dass ich dieses Nichts bin.«
Francesca Findabair, die wunderschöne Elfe, lachte perlend und laut. »Gratuliere, Yennefer«, sagte sie mit hypnotisierend melodischer Stimme. »Ich erkenne das Gütezeichen, den Prägestempel dieses Goldes. Ich erkenne die Schule.«
»Die ist nicht schwer zu erkennen.« Yennefer ließ einen flammenden Blick schweifen. »Denn es ist die Schule von Tissaia de Vries.«
»Tissaia de Vries lebt nicht mehr«, sagte Frau Eule ruhig. »Sie sitzt nicht an diesem Tisch. Tissaia de Vries ist tot, eine Tatsache, die betrauert und beweint worden ist. Wobei sie gleichzeitig eine Zäsur und ein Wendepunkt war. Denn es ist eine neue Zeit gekommen, eine neue Ära angebrochen, große Veränderungen sind im Gange. Und dir, Ciri, die du einst Cirilla von Cintra warst, hat das Schicksal in diesen Veränderungen eine wichtige Rolle zugedacht. Du weißt sicherlich schon, welche.«
»Ich weiß«, knurrte Ciri, ohne auf das beschwichtigende Zischen Yennefers zu achten. »Das hat mir Vilgefortz
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