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Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Titel: Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Hinterhalt, leise und bösartig. Es materialisierte sich plötzlich inmitten der Finsternis wie eine ausbrechende Flamme. Wie eine Flammenzunge.
    Wenngleich überrascht, reagierte Geralt instinktiv. Er wirbelte in einer Ausweichbewegung herum, scheuerte an der Wand des Verlieses entlang. Die Bestie schoss vorbei, prallte vom Putz wie ein Ball ab, wedelte mit den Flügeln und sprang abermals, wobei sie zischte und den schrecklichen Schnabel aufriss. Doch diesmal war der Hexer bereit.
    Er schlug mit einem kurzen Hieb zu, aus dem Ellenbogen heraus, zielte unter die Kehle, unterhalb der karminroten Lappen, die doppelt so groß wie bei einem Truthahn waren. Er traf, fühlte, wie die Schneide durch den Körper stieß. Der Schwung des Hiebes warf die Bestie am Fuße der Mauer zu Boden. Der Skoffin schrie, und der Schrei war beinahe menschlich. Er warf sich auf dem Ziegelschutt hin und her, hackte mit dem Schnabel und zuckte mit den Flügeln, versprühte Blut, peitschte mit dem Schwanz. Der Hexer war sich sicher, dass der Kampf schon vorüber war, doch das Ungeheuer bereitete ihm eine böse Überraschung. Unerwartet stürzte es ihm an die Kehle, wobei es schrecklich krächzte, die Klauen ausstreckte und mit dem Schnabel klappte. Geralt sprang zurück, stieß sich mit derSchulter von der Mauer ab, schlug von unten her zu, wobei er den Schwung des Rückpralls ausnutzte. Er traf, der Skoffin stürzte abermals auf die Ziegel, ein stinkender Schwall Blut spritzte gegen die Wände des Verlieses und rann als phantastisches Muster herab. Das im Sprung getroffene Ungeheuer warf sich nicht mehr herum, zitterte nur, krächzte, reckte den langen Hals, blähte die Kehle und schlug mit den Kehllappen hin und her. Das Blut strömte zwischen die Ziegel, auf denen es lag.
    Geralt hätte es mühelos erledigen können, wollte aber die Haut nicht zu sehr beschädigen. Er wartete ruhig ab, dass der Skoffin verblutete. Er ging ein paar Schritte beiseite, wandte sich zur Wand, knöpfte die Hose auf und pinkelte, wobei er eine schwermütige Melodie pfiff.
    Der Skoffin krächzte nicht mehr, erstarrte und lag still. Der Hexer trat heran, berührte ihn leicht mit der Schwertspitze. Als er wusste, dass alles vorbei war, packte er das Ungeheuer beim Schwanz, trug es fort. Am Schwanzansatz in Hüfthöhe gehalten, reichte der Skoffin mit dem Geierschnabel bis zum Boden, die ausgebreiteten Flügel maßen gut vier Fuß Spannweite.
    »Bist leicht, Gallilisk.« Geralt schüttelte die Bestie, die praktisch nicht viel mehr als ein gut gemästeter Truthahn wog. »Leicht bist du. Zum Glück werde ich nach Stück bezahlt, nicht nach Gewicht.«
     
    »Zum ersten Mal« – Reynart de Bois-Fresnes pfiff leise zwischen den Zähnen, was, wie Geralt wusste, bei ihm höchstes Erstaunen ausdrückte   –, »zum ersten Mal sehe ich so etwas mit eigenen Augen. Ein wahres Wundertier, bei meiner Ehre, wie man wunderlicher keines findet. Das ist also der berühmte Basilisk?«
    »Nein.« Geralt hob das Ungeheuer höher, damit der Ritter es besser betrachten konnte. »Das ist kein Basilisk. Das ist ein Gallilisk.«
    »Und wo ist da der Unterschied?«
    »Ein grundlegender. Der Basilisk, auch Regulus genannt, istein Reptil, der Gallilisk, auch Skoffin oder Cocatrix genannt, ist ein Ornithoreptil, das heißt ein Zwischending zwischen Reptil und Vogel. Es ist der einzige bekannte Vertreter der Ordnung, die die Gelehrten Ornithoreptilia genannt haben, denn nach langen Disputen haben sie festgestellt   …«
    »Und welcher von den beiden«, unterbrach ihn Reynart de Bois-Fresnes, den die Motive der Gelehrten offensichtlich nicht interessierten, »tötet mit dem Blick oder lässt einen versteinern?«
    »Keiner. Das ist eine Erfindung.«
    »Warum also haben die Leute solche Angst vor beiden? Der hier ist gar nicht so groß. Kann er wirklich gefährlich werden?«
    »Der hier« – der Hexer schüttelte seine Beute – »greift für gewöhnlich von hinten an, und er zielt unfehlbar zwischen die Wirbel oder unter die linke Niere, auf die Aorta. Für gewöhnlich genügt ein Schnabelhieb. Und was den Basilisken angeht, so ist es egal, wo er zubeißt. Sein Gift ist das stärkste bekannte Neurotoxin. Es tötet binnen Sekunden.«
    »Brrr   … Und welchen von ihnen, sag, kann man mit Hilfe eines Spiegels erledigen?«
    »Jeden. Wenn man ihm den Spiegel geradezu vor den Kopf haut.«
    Reynart de Bois-Fresnes lachte laut auf. Geralt lachte nicht, der Witz mit dem Basilisken und dem Spiegel hatte

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