Die Darwin-Kinder
Kissen sinken. »Ich war schließlich diejenige, die es unbedingt wollte.
Und jetzt gibt es nur noch dieses Leben.«
»Ich hab auch meinen Anteil daran gehabt«, erklärte Mitch.
»Ich hab dich vernachlässigt. In mehr als einer Hinsicht.«
Mitch zuckte mit den Achseln.
»Was wünschst du dir für Stella?«, fragte Kaye.
»Ein einigermaßen normales Leben.«
»Und wie soll das aussehen? Sie ist nicht wirklich so wie wir.«
»Die Ähnlichkeit mit uns ist größer als die Unterschiede.«
Kaye wischte sich mit den Handrücken über die Augen. Sie konnte die Gegenwart des Rufers immer noch spüren. Wenn sie ihn mit ihren Gedanken berührte, wallten Wellen des Trostes in ihr auf, so heftig, dass ihr die Tränen kamen. Sie konnte nicht verstehen, wie sie sich inmitten all dieser Angst so wunderbar leicht und wohl fühlen konnte.
Mitch berührte ihre Wange und tupfte ihr sanft eine Träne aus dem Augenwinkel.
»Wie ist das eigentlich, wenn man einen Schlaganfall hat?«, fragte sie. »Oder einen epileptischen Anfall?«
»Du bist doch die Ärztin«, erwiderte Mitch pikiert.
»Aber Sam hat einen Schlaganfall gehabt.« Sam war Mitchs Vater.
»Er ist einfach umgefallen, wie ein gefällter Baum.«
»Er war gelähmt und starb innerhalb weniger Stunden.«
»Ja, es ging schnell. Worauf willst du eigentlich hinaus?«
»Können Menschen auch epileptische Anfälle haben, die ihnen ein Wohlgefühl geben? Dann würden sie deswegen nicht zum Arzt gehen, oder?«
»So was hab ich noch nie gehört.«
»Man würde davon ja auch gar nichts erfahren, oder? Es sei denn, die Ärzte würden es zufällig entdecken… bei einer Kernspin- oder Computertomographie oder so. Das Gehirn ist schon ein geheimnisvolles Ding.«
»Wie kommst du eigentlich auf dieses Thema? Erst schlafen wir miteinander und dann sinnierst du über Anfälle, die einem ein Wohlgefühl geben.« Er versuchte zu lächeln.
»Normalerweise nennt man das einfach Orgasmus, Kleines.«
Kaye hob den Kopf und drehte sich so, dass ihn ansehen konnte. Sie weigerte sich, auf seinen lockeren Ton einzugehen.
»Hast du jemals das Gefühl gehabt, dass jemand oder etwas deine Gedanken berührt? Fühlung mit dir aufnimmt und dich dabei ganz und gar akzeptiert, dir mit Verständnis begegnet?«
»Nei-ei-ein«, erwiderte Mitch, dem dieses Gespräch ganz und gar nicht behagte. Auf Kayes Gesicht lag ein Glanz, der ihn an die Monate ihrer Schwangerschaft erinnerte. Ihre Augen leuchteten mit einem weichen, innigen Ausdruck.
»Kommt so etwas wirklich so selten vor? Was tun die Menschen, wenn es passiert? Mit wem oder was kommunizieren sie dabei?«
»Wenn was passiert?«
Kaye setzte sich auf, legte ihm die Hände auf die Schultern und sah ihn Hilfe suchend an. »Führt so etwas dazu, dass Menschen religiös werden?«
Mitchs Miene war so ernst, dass sie lächeln musste.
»Vielleicht bin ich ja gerade dabei, mich in eine Priesterin zu verwandeln. Oder in eine Schamanin.«
»Im Allgemeinen«, begann Mitch in scherzhaft dozierendem Ton, »sind Schamanen ein bisschen verrückt. Der Stamm gibt ihnen zu essen und lässt sie im Gegenzug arbeiten. Schließlich haben Schamanen ja auch mehr Unterhaltungswert, als wenn man Innereien ausdeutet oder mit Knöchelbeinchen wirft.«
Kaye presste die Lippen zusammen. »Ich bemühe mich gerade, eine bestimmte Sache zu begreifen.«
»Hast du da draußen an der Anlegestelle das Gefühl gehabt, du hättest einen Schlaganfall?«, fragte Mitch, ohne den panischen Unterton unterdrücken zu können.
»Ich weiß es nicht.« Sie lächelte, als sei die Erinnerung daran angenehm. »Dieses merkwürdige Gefühl ist immer noch da.«
»Könnte es sein, dass du wieder schwanger bist? Ist dir morgens übel?«
»Nein, verdammt noch mal.« Kaye knuffte ihn am Arm. »Du hörst mir nicht richtig zu.«
»Ich hör schon zu, ich versteh bloß nichts. Sag mir klipp und klar, ob… irgendwas vorgefallen ist. War es vielleicht eine Art Nervenzusammenbruch? Wir haben in letzter Zeit viel Stress gehabt.« Er stand auf und ließ den kurzen Bademantel auf dem Bett liegen. Kaye musterte ihn, betrachtete seine Unterarme, den Brustkorb, die mit dichtem Haar bedeckten Schultern, und schließlich seine Genitalien, die schlaff herunterbaumelten, aber jeden nervösen Schwenk seiner Arme mitmachten.
Sie musste lachen.
Das schockierte Mitch. Er blieb wie angewurzelt stehen und starrte sie an. Mindestens seit einem Jahr, vielleicht auch seit zweien hatte er Kaye nicht mehr so
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