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Die Darwin-Kinder

Die Darwin-Kinder

Titel: Die Darwin-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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anderes, so unbedeutend es im Nachhinein auch wirken mochte: Es hatte ihn beunruhigt, wie Kaye ausgesehen hatte, als sie darüber geredet hatte, was sie an der Anlegestelle empfunden hatte. Wenn seine Partnerin, seine Frau, nach all diesen Jahren jetzt aus dem Gleichgewicht geriet…
    Kaye war stets das Kraftreservoir für sie beide gewesen, der tief verwurzelte Baum.
    Die Luft war feucht und schwer. Er sah zu, wie sich der Himmel immer dichter mit Wolken bezog und spürte die ersten Regenspritzer, große Tropfen, die den Geschmack und Geruch der Luft veränderten. Seine Nase zuckte. Er konnte riechen, wie sich der Wald auf den Sturm vorbereitete. Selbst ehe sie Stella bekommen hatten, war sein Geruchsinn schon stark ausgeprägt gewesen. Er denke mit seiner Nase, hatte er einmal zu Kaye gesagt. Und diese Fähigkeit hatte sich dadurch, dass er Vater eines SHEVA-Kindes geworden war, noch verstärkt.

    Nach Stellas Geburt hatte Mitch zwei Jahre lang alles, was dadurch neu in sein Leben kam, in vollen Zügen genossen.
    Selbst jetzt noch konnte er Dinge deutlich riechen, die andere Menschen kaum oder gar nicht ausmachen konnten.
    Der See war nicht besonders sauber, lag aber als hübsches kleines Biotop im Wald, nahm während der Winter- und Frühlingsmonate dessen Wasser auf und reicherte während der Sommermonate Nährstoffe an, sodass er voller Algen war. Er hatte zwar keinen Abfluss, war aber trotzdem nicht umgekippt und sah romantisch aus. Wahrscheinlich ging es ihm so gut, wie es einem See nur gehen konnte, der, abgeschieden von den Aktivitäten größerer Seen und Flüsse, auf seine eigene Weise vor sich hin träumte und die Jahreszeiten stillschweigend an sich vorüberziehen ließ.
    Mitch selbst hätte an diesem See wegen der Gefahr einer Moskitoplage niemals eine Blockhütte errichtet, war aber dennoch froh, dass es sie gab. Im Übrigen waren hier nur wenige Moskitos aufgetaucht, was er sich nicht erklären konnte.
    In den letzten Jahren hatte er Kayes Geruch stets als stark ausgeprägt, scharf, gestresst und beunruhigt empfunden; ein ähnliches Flair von Wachsamkeit hatte er auch generell bei anderen SHEVA-Müttern und Müttern ausgemacht. Vor ein paar Stunden im Bett hatte sich bei Kaye eine Spur von Zufriedenheit und innerer Festigkeit in diesen Geruch gemischt. Oder war das nur sein eigenes Hirngespinst? War es nur die eigene Wunschvorstellung, Kaye für kurze Zeit auch einmal glücklich zu sehen?
    Aber Stella hatte es ebenfalls bemerkt.
    Vielleicht war ihre Familie mittlerweile wie der See: isoliert, völlig auf sich bezogen und nicht mehr ganz auf der Höhe.
    Deshalb war Stella auch weggelaufen. Seine Gedanken wanderten so ziellos umher wie kleine Wellen, die vom Wind mal hierhin, mal dorthin getrieben werden.
    Nach einigen Minuten saß Mitch nur noch da und bemühte sich, an gar nichts zu denken. Irgendwann tauchte die Sorge auf, wohin sie gehen sollten, wenn es so weit war, wohin sie sich als Nächstes flüchten konnten. Da er es nicht wusste, aber auch nicht glauben wollte, dass sie so gut wie am Ende waren, verstaute er diese Sorge in der Schublade voller weiterer ungelöster Fragen und blickte erneut ins Leere.
    Die Leere war tröstlich, hielt aber nie lange an.
    Er hatte Kaye noch nie gefragt, welche Gerüche sie an ihm wahrnahm. Kaye sprach nicht gern über solche Dinge. Er hatte sich in eine deprimierte, aber extrovertiertere Kaye verliebt und mit einer Frau zusammengelebt, die sich ihm seit Monaten oder Jahren nicht mehr geöffnet hatte. Bis gestern Nacht.
    Mitch streckte die Hände hoch und musterte die glatten Finger. Er konnte fast physisch spüren, wie er an einer Ausgrabungsstätte stand, Schaufel, Kelle, grobe oder feine Bürste in der Hand, und Keramik oder Knochen frei legte. Wie ihm unter der sengenden Sonne der Schweiß am Nacken herunterrann, trotz der Kappe und des Nackenschutzes.
    Er fragte sich, was der Vater aus der Zeit der Neandertaler wohl gedacht hatte, als er am Ende frierend neben seiner bereits gestorbenen Frau und dem tot geborenen Kind in der Berghöhle gelegen hatte. Mit der Entdeckung der Mumien in den Alpen hatte für Mitch alles begonnen. Von diesem Punkt an hatte sich sein Leben grundlegend verändert. Er hatte Kaye kennen gelernt, war Teil ihrer Welt geworden. Mitchs Leben hatte dabei enorm an Tiefe gewonnen, aber Horizont und Spielraum hatten sich verengt.
    Der Neandertaler-Vater hatte nie auch nur die Gelegenheit gehabt, der guten alten Zeit nachzutrauern, in der er

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