Die Datenfresser
digitalen Umfeld auf eine Privatheit und einen Rückzugsbereich im heute bekannten Sinn gänzlich zu verzichten. Statt dessen soll eine vollständige reziproke Transparenz Usus werden, Brin nennt sie informationelle Symmetrie: Du weißt alles über mich, ich weiß alles über dich. Und gerade weil jeder die Geheimnisse des anderen kennt, sollen sie nicht mehr als Waffen gegeneinander verwendet werden können. Damit sollen also gleichzeitig Machtverhältnisse egalisiert werden. Freilich funktioniert das ganze Konzept nur, wenn alle mitmachen. Die zwischenmenschliche Vertraulichkeitserwartung und Freiräume der Unbeobachtbarkeit würden dann obsolet – ganz so, als würden Ungleichheiten hinsichtlich der Machtverhältnisse nicht existieren.
Einfache Beispiele machen jedoch deutlich, daß die Egalisierung von Machtverhältnissen keineswegs mit gegenseitiger Datentransparenz einhergeht. Stellen Sie sich vor, sie machen eine Auslandsflugreise. Wir alle haben uns an langwierige, zum Teil erniedrigende Flughafenprozeduren gewöhnt, die mit solchen Reisen einhergehen, aber auch an eine umfangreiche Datenweitergabe, noch bevor wir ein fremdes Land auch nur betreten. Die Asymmetrie der Macht zwischen demjenigen, der als Tourist am Einreiseschalter des fremden Landes steht, und dem Beamten der dortigen Einreisebehörde ist dabei augenfällig. Selbst wenn der Einreisewillige denselben Datensatz über sein Gegenüber einsehen könnte, wie der Beamte auf seinem Bildschirm ihn über den Reisenden abruft, entstünde natürlich noch lange kein Machtgleichgewicht. Der Tourist könnte seinerseits beispielsweise weder Einträge in Datenbanken der ausländischen Behörden vornehmen noch die Erfassung verhindern. Auch der Versuch, dem Beamten auf seine Nachfragen zum genauen Reiseziel, Reisegründen oder Rückkehrzeitpunkt mit Gegenfragen zu bombardieren, dürfte eher zum Scheitern verurteilt sein. Es gilt hier kein Quidproquo.
In den letzten Jahren hat allerdings ein Art Gegenbewegung eingesetzt, die sich weiterentwickelt. Der staatliche Datensammeldrang, das Eindringen in die private Fernkommunikation und die überbordende kommerzielle Neugier der Werbeindustrie werden scharf kritisiert und teilweise auch boykottiert. Der ehemalige Bundesinnenminister und Rechtsanwalt Gerhart Baum versteht besonders die jüngsten Urteile des Bundesverfassungsgerichtes, die sich gegen die Ausweitung staatlicher Überwachung richten, als »Auftrag an den Gesetzgeber, den Schutz der Privatheit, auch und gerade im hochgefährdeten privaten Bereich, nun endlich den neuen technischen Möglichkeiten anzupassen«, wie er anläßlich der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises 2008 anmahnte. Daß die Regierungen ausgerechnet die Datenprofiteure und ihre Lobbyisten als Ratgeber heranziehen, wenn es darum geht, sinnvolle Regularien für das Netz zu finden, ist daher fatal.
5. Nur noch mit Maske zum Einkaufen?
Was Biometrie in Zukunft bedeutet
Der Wunsch, Individuen zu identifizieren, ist so alt wie die menschliche Gesellschaft. Das Wiedererkennen, die Zuordnung von Handlungen zu Personen ist eine Grundlage für den Aufbau von Vertrauen zu vormals Fremden, aber auch für die Ergreifung und mögliche Bestrafung von Missetätern und daraus resultierend die implizite Abschreckung von Verbrechern. Wer damit rechnen muß, wiedererkannt zu werden, wird sich vielleicht überlegen, ob er eine gesellschaftlich geächtete Handlung begeht.
Je mehr Menschen es gab, je länger die möglichen Reisewege wurden, desto mehr stieg das Bedürfnis nach einer von der individuellen Bekanntschaft abstrahierten Identifikation. Passierscheine, Empfehlungsschreiben, Berechtigungskarten und – nach der Erfindung der Fotografie – Lichtbildausweise und Reisepässe mit Unterschriften und Stempeln dienten der mehr oder minder zuverlässigen Identifikation von Personen. Gleichzeitig wurden mit diesen Dokumenten individuelle Rechte verbunden, etwa reisen zu dürfen, Geld von der Bank abzuheben oder einen Kredit zu bekommen.
Mit dem Aufkommen der biologistischen Kriminologie und der Fahndung nach Kriminellen in Frankreich und Großbritannien Ende des 19. Jahrhunderts begann das frühe Zeitalter der Biometrie. Lange getrieben von der Vorstellung, man könnte aus der Form und Größe der menschlichen Schädel und anderer Körperteile auf kriminelle Neigungen schließen, wurde in den Gefängnissen begonnen, Verdächtige und Verurteilte zu vermessen und zu beschreiben. Ein Ziel war es,
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