Die Delfine von Atlantis ("Alantis"-Trilogie) (German Edition)
war erleichtert, aber gleich darauf erschauderte sie, denn auf dieser Seite des Riffs war es noch unheimlicher.
Eine Welt aus Schwarz und Weiß. Die bleichen Skelette der toten Korallen bildeten skurrile Formen. Wie Dorngestrüpp reckten sie sich ins Wasser und schienen nach jedem greifen zu wollen, der sich ihnen näherte. Auffallend war außerdem die Stille – nirgends war ein Plätschern oder Gurgeln zu vernehmen, auch kein Blubbern von Luftblasen … Ein völlig lautloses Meer, wie Sheila es nie zuvor erlebt hatte. Sie hatte das Gefühl, in einen Stummfilm geraten zu sein.
Gerade als sie umkehren wollte, kam hinter dem Riff ein riesiger Rochen hervor.
Seine dunklen Flügel waren groß wie ein Zelt und schwarz wie die Nacht. Lautlos glitt er auf sie zu – wie ein Vampir in seinem langen Umhang, der genau weiß, dass ihm sein Opfer nicht entkommen kann. Sheila wich ängstlich zurück, aber hinter ihr war das Riff, und sie fand in der Eile nicht gleich den Tunnel.
Ein zweiter Rochen tauchte von der anderen Seite auf und schwamm mit langsamen Flügelschlägen auf sie zu.
Sheila fühlte sich in die Enge getrieben und presste sich gegen das Riff. Der Rochen schwebte über sie hinweg, ohne sie anzugreifen. Ruhig und ohne Eile kreiste er über ihr. Der andere Rochen schloss sich ihm an. Von irgendwoher erschien noch ein drittes Tier, genauso groß wie die beiden ersten, und begann Sheila ebenfalls zu umrunden.
Sheila wusste nicht, wie ihr geschah.
Mit einem Mal wurde die unnatürliche Stille unterbrochen, und Sheila hörte ein beschwörendes Raunen. Es klang so eindringlich und hypnotisierend, dass sie vollkommen in seinen Bann geriet und sich ihm nicht entziehen konnte.
»Vergiss, wer du bist!
Vergiss, was du willst!
Vergiss, was war!
Vergiss, vergiss!«
Sie merkte, wie ihr Kopf leerer und leerer wurde. Es war, als würden alle Erinnerungen aus ihr herausgesaugt. Sie hatte keinerlei Schmerzen dabei, sie fühlte sich immer wohler und leichter …
Die Rochen verschwanden genauso plötzlich, wie sie aufgetaucht waren. Mario hatte vom Tunnelende aus das seltsame Schauspielbeobachtet. Er verstand nicht, was die Tiere eigentlich von Sheila wollten. Sie waren nicht angriffslustig, sondern schienen ganz friedlich. Ihr ruhiges Kreisen ähnelte einem Tanz, doch nach einigen Runden hatten die Rochen genug, so als würde ihnen das Spiel keinen Spaß mehr machen.
Seltsam!
Aber noch seltsamer war, wie Sheila sich verhielt, als die Rochen verschwunden waren. Sie verharrte unschlüssig auf der Stelle, und als Mario zu ihr kam, sah sie ihn mit eigentümlichem Blick an.
»Was willst du von mir?«
»Aber ich bin’s doch«, sagte er. »Mario. Wir beide sind Meereswandler, erinnerst du dich nicht?«
»Meereswandler?« Sie schnaubte abfällig. »Was soll das denn sein? Ich bin ein Delfin, und ich war schon immer ein Delfin.«
»Du bist aber auch ein Mensch – genau wie ich!« Mario wurde allmählich beunruhigt.
»Ein Mensch? Von wegen! – Und jetzt hau ab!« Sie rammte ihn wütend in die Seite.
Er war von dem plötzlichen Angriff so überrascht, dass er den Zauberstein fallen ließ, den er die ganze Zeit im Schnabel getragen hatte.
Er tauchte zum Grund und hob den Stein auf. Als er zurückkam, war Sheila fort. Er sah gerade noch, wie sie durch den Tunnel schwamm.
»He, warte doch!« Er folgte ihr. »Wir müssen reden! Sheila!«
Sie beachtete ihn nicht, sondern tauchte durch den langen Tunnel zurück. Auf der anderen Seite des Riffs bog sie eilig nach links ab.
Mario sah flüchtig einen Schatten im Wasser. Dann prallte Sheila mit voller Wucht dagegen.
»Aua, spinnst du?«, ertönte eine vertraute Stimme.
»Blöder Fisch, geh mir aus dem Weg!«, schimpfte Sheila.
»Spy!« Marios Herz machte vor Freude einen Hüpfer. Spy war wieder da! Er lebte und war wohlauf!
Aber Sheila schien sich auch nicht an Spy zu erinnern. »Zisch ab, du Biest! Was willst du von mir? Weißt du überhaupt, wie lächerlich du aussiehst mit deiner dummen Antenne auf dem Kopf? Mann, Kerl, verzieh dich, hier jage ich nach Fischen!«
»Aber Sheila, ich will deine Fische doch gar nicht«, sagte Spy verwirrt. »Ich esse hauptsächlich Krill, hast du das vergessen?«
»Sheila, hör zu«, schaltete Mario sich ein. »Irgendetwas ist mit dir passiert, seit die Rochen da waren.«
»Welche Rochen? Ich kann mich an keine Rochen erinnern.« Jetzt hatte Sheila einen kleinen Fisch entdeckt und jagte hinter ihm her.
Mario stöhnte.
»Was ist
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