Die dem Mond ins Netz gegangen - Lene Beckers zweiter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
Soweit es für ihn richtig war. Die Vergewaltigung ließ er vorläufig weg. Lene beobachtete die Mimik der Einzelnen.
Jean-Pierre hatte heute Morgen sehr erschrocken gewirkt, als sie ihn endlich gefunden hatte und er erfuhr, was geschehen war. Dann - eine Reaktion, als ob ein Schleier über sein Gesicht gelegt wurde. Er gleichzeitig fieberhaft nachdachte, während er versuchte, nach außen hin nur Betroffenheit zu zeigen. Da war noch etwas anderes. Auch jetzt zeigte er Interesse ohne sich preiszugeben, hatte sich inzwischen noch mehr im Griff.
Marie hatte gerötete g eschwollene Augen, sie hatte auch unterwegs im Auto immer wieder geweint. Sie hörte Renaud um Aufmerksamkeit bemüht zu, aber es war immer noch eine Aureole von Nicht-Verstehen um sie herum. Und das hatte nichts mit der Sprache zu tun. Florence saß sehr gerade auf ihrem Stuhl, schien jedes Wort aufmerksam aufzunehmen und biss sich zeitweise auf die Unterlippe. Ihr rechter Arm lag auf der Armlehne, ihr Bruder hatte seine Hand auf ihre gelegt. Philippe war ganz Konzentration, Mitgehen mit dem, was er hörte. Einmal stöhnte er kurz auf, als Renaud brutal das Erwürgen mit dem paillettenbesetzten Tuch beschrieb.
Plötzlich stand der Kommissar auf und kündigte an, dass sie nun alle vier g etrennt befragt würden. Das gäbe für die Ermittelnden ein klareres Bild.
Inspektorin Baudou nahm Florence mit, er selbst wandte sich an Philippe, Lene sollte Marie befragen und Jean-Pierre noch warten, wobei ihm ein Polizist Gesellschaft leisten sollte, wie die offizielle Version lautete.
Lene nahm die unsichere Marie mit in einen kleineren Raum, den man ihr zuwies. Als Marie vor ihr saß, vermisste Lene das Bandgerät, das sie sonst gewohnt war und das in Frankreich nicht eingesetzt werden durfte, wie Renaud ihr gerade mitgeteilt hatte. Nicht einmal Notizen durfte sie sich machen. Kopfarbeit war gefragt. Sie bemühte sich nun um einen möglichst freundschaftlichen Ton und vor allem um demonstrative Gelassenheit in der Absicht ihr nervöses Gegenüber zu beruhigen.
» Marie, seit wann kennst du Brigitte?«
» Wir trafen uns vor etwa acht Wochen am Strand, zwei Tage nachdem sie angekommen war. Ich sagte gerade etwas in Deutsch zu einem Bekannten, da hat sie mich angesprochen. Ob ich Deutsche sei und so.«
Es war , als sei etwas in ihr gelöst, als ob es gut täte, darüber zu reden. Sie sprach gleich weiter.
» Und dann habe ich sie Florence und Philippe vorgestellt, die ich schon lange kenne. Und wir wurden alle vier Freunde.«
Sie holte ein Taschentuch aus ihrer Tasche und putz te sich geräuschvoll die Nase.
» Und dann? Was habt ihr so gemacht?«
» Fast alles zusammen. Einkaufen, kochen, reden, an den Strand gehen. Es war herrlich, weil wir uns so gut verstanden. Bis – …« Sie stockte.
» Ja, bis?“ versuchte Lene sie wieder in den Fluss ihrer Erzählung zurückzuführen. »Bis wann? Was geschah?«
Nochmaliges Zögern. Dann ein kurzer Satz.
» Bis wir eines Tages Jean-Pierre trafen.«
Sie verschloss ihren Mund zu einem festen Strich. Damit wa r offenbar alles gesagt – oder wahrscheinlich gerade nicht.
» Gut, ihr habt Jean-Pierre getroffen. Wie das?«
» Wir waren im Dorf und haben in der Pizzeria gegessen, in der er arbeitet. Aber er ist eigentlich Student. Verdient sich so das Geld für das Studium.«
» Wer hat sich zuerst mit Jean-Pierre angefreundet?«
» Philippe. Und Florence irgendwie auch. Aber dann …« Die Stimme wurde leiser, brach ab.
» Wann habt ihr Jean-Pierre das erste Mal getroffen?«
» Vor etwa vier Wochen. Aber erst in der letzten Zeit waren wir so oft zusammen. Und dann …«
Dasselbe Zögern. Die Hände unruhig auf der Tischplatte. „Ja, das war komisch. Aber ich, ich gla ube, dass sich alles geändert hat, wegen Brigitte.«
Die Stimme wurde wieder leiser und erstarb. Was war so seltsam daran, dass Brigitte sich verliebt hatte, was so ungewöhnlich, dass Marie nicht weitersprechen wollte? So ein Geheimnis daraus machte? Sie konnte sich das nicht erklären. Außer Marie war selbst in Jean-Pierre verliebt.
Sanft fragte sie: »Was war mit Brigitte und Jean-Pierre?«
Marie schluckte. »Irgendwie steckten sie jetzt viel zusammen, als ob sie ein Geheimnis hätten.«
» Waren sie verliebt? War das vielleicht ihr Geheimnis?«
Marie zögerte.
»Nicht direkt. Oder doch. Es war klar, dass es Brigitte erwischt hatte. Aber nicht das war es. Zumal Jean-Pierre wohl noch nicht entschlossen war. Nein, es war einfach,
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