Die dem Mond ins Netz gegangen - Lene Beckers zweiter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
ihrer Tochter zusammengezuckt, sah Lene hilflos an und griff nach Ferdinands Hand. Aber dann ließ sie ihn wieder los, beugte sich über Brigitte und küsste sie zärtlich auf die Stirn. »Leb wohl, mein Kind«, murmelte sie leise. »Geh ins Licht.«
Da wusste Lene, dass sie die Kraft finden würde mit dem Tod ihrer Tochter fertig zu werden. Ferdinand stand völlig erstarrt vor Brigitte, der Schmerz schien ihn wie eine Welle zu erfassen. Hilflos wollte er über ihre Hand streicheln.
» Bitte nicht«, stoppte ihn der Pathologe, der schon bei Marions Berührung ihrer Tochter unruhig geworden war. »Sie wissen, Beweismittel.«
Ferdinand Melzers Hand zuckte zurück. Noch einmal ergreifend wurde es, als Irene, die darauf bestanden hatte, mitzukommen, an dem Leichnam ihrer Schwester stand. Fassungslos starrte sie in das entstellte Gesicht, dann warf sie sich schluchzend über das Tuch, das Brigitte bedeckte. Es war Marion, die sie wegzog und in ihre Arme nahm. Irenes Weinen verebbte nur langsam.
Kommissar Renaud hatte sich geräuspert und bat alle nach draußen. Die warme Abendsonne empfing sie, der Himmel in immer intensiver werdende Blau- und Orangetöne getaucht.
Renaud räusperte sich. »Denken Sie immer daran, es ist vorbei.«
Lene war überrascht von seiner Feinfühligkeit, mit der er die Eltern trösten wollte. Noch dazu in einer fremden Sprache. Aber alle drei hatten ihn versta nden.
Dann bat er Lene ihnen zu sagen, dass er sie heute erst einmal allein las sen würde. Er würde sich bei ihnen über Lene melden, wenn er Fragen hätte.
Auf der Fahrt hatten sie dann über Brigitte gesprochen. Wie sie nach dem Abitur angefangen hatte mit einem Betriebswirtschaft sstudium, und dazu noch einem Studium der Kunstgeschichte, weil sie später in das Geschäft ihres Vaters mit einsteigen wollte.
Ich will verstehen, mit was wir da handeln, und das geht nur, wenn ich die Geschichte der Kunst begreife und Fakten beherrsche.
Ferdinand war stolz auf seine Tochter gewesen. Sie hatten halbe Nächte bei einer Flasche Rotwein diskutiert. Oft hatte sie sich nach Ladenschluss den Ursprung aller Antiquitäten, die sie wie Kleinodien behandelte, erklären lassen. Er hatte in ihr eine Partnerin in seiner Obsession gefunden, die er zu seinem Beruf gemacht hatte.
Im Hotel angekommen, in der Nä he des Strandes, zwischen dem Village Naturiste und der Stadt, hatten sie dann gemütliche, helle Zimmer vorgefunden. Irene hatte sich auf der Fahrt als äußerst liebenswerter Mensch gezeigt – nachdenklich, offen und voller Selbstvertrauen.
Das habt ihr gut hinbekommen, beide Kinder zu selbst ständigen Menschen zu erziehen, hatte Lene gedacht.
Und es Marion gesagt, als sie sich in ihrem Zimmer von ihr verabschiedete. Und »Morgen kommen auch meine Kinder«, hinzugefügt. »Aber davon erzähle ich dir ein anderes Mal. Jetzt kommt erst einmal zur Ruhe. Vergesst nicht hinunter zum Essen zu gehen. Oder lasst euch etwas aufs Zimmer bringen. Selbst wenn ihr nicht wollt, versucht einfach etwas zu essen. Ihr braucht eure Kraft. Und denkt daran, dass ihr für Irene verantwortlich seid. Auch für sie war es viel heute.«
Sie war gerade durch die Tür, als sie Ferdinand hinter sich hörte. »Ich bringe Lene noch hinunter.«
Dann auf dem Flur fasste er sie am Arm. »Ich muss dich sprechen. Inoffiziell.«
» Natürlich. Dann gehen wir am besten hinunter an den Strand – oder möchtest du in die Hotelbar?«
» Vor allem allein sein – ohne Zuhörer. Wohl besser Richtung Strand.«
Sie steuerte ihn hinaus über die Terrasse, auf der die anderen Gäste beim Essen saßen. Fröhlichkeit, Gespr äche in mehreren Sprachen, Wein. Frankreich im Sommer.
Sie fanden einen guten Platz mit zwei großen warmen Steinen, auf die sie sich setzten. Lene wartete, nahm das Meer in der letzten Abendsonne wahr, deren Strahlen auch in Ferdinands Augen Lichtreflexe erzeugten. Sie sah, wie sich sein Brustkorn hob und senkte, als er tief durchatmete.
» Lene, es ist etwas, das ich dem Kommissar nicht ohne Weiteres sagen kann. Brigitte – sie hat etwas sehr Wertvolles gefunden, etwas, das ich natürlich gerade unter diesen Umständen als ihr Vermächtnis behalten möchte. Sie war so aufgeregt in unserem letzten Gespräch. Sie hatte jemanden gefunden, der mit ihr an die Echtheit glaubte. Und das wäre wirklich sensationell.«
Das klang spannend, fand Lene.
»Aber was ist es? Kannst du mir das sagen?«
» Etwas Kleineres, etwas wie eine Gürtelspange. Die Form
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