Die dem Mond ins Netz gegangen - Lene Beckers zweiter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
hörte sich ihre Geschichte an und war ziemlich beeindruckt, da gerade in Montségur seit siebenhundertfünfzig Jahren so viele Menschen, offiziell und inoffiziell, - bis hin zu einer Gruppe von äußerst akribischen Wissenschaftlern, die Hitler gesandt hatte, wie erzählt wird – bildlich gesprochen, jeden Stein herumgedreht haben. Und für mich ist das schon seltsam, dass Brigitte das Schmuckstück gefunden hat. Und vor allem wie . Sie sagte, es war, als ob sie gewusst hätte, dass es dort war.«
Lene dachte an das seltsame Erlebnis, das sie vor Jahren gehabt hatte. Sie verschob die Erinnerung auf später.
» Weißt du, wen sie gefragt hat wegen der Echtheit?«
» Nein. Sie hat mir nur gestern stolz berichtet, dass das Stück wohl echt ist. Die Gürtelspange eines Perfectus , eines vollkommenen Menschen , wie die Priester der Katharer genannt wurden. Oder einer Perfecta. «
Ein Sonnenstrahl spielte in seinem Haar, umgab ihn mit einer Art Aura.
Wenn er sich jetzt so sähe, würde er sicher denken, dass Brigitte bei diesem Gespräch bei uns ist. Ach, Brigitte, wer ist der geheimnisvolle spézialiste de l’histoire des Cathares?
Du wirst es uns sicher noch sagen.
Sie verabschiedete sich von Ferdinand mit den französ ischen Küsschen auf die Wangen – drei hier, lächelte sie. In Paris und in Toulouse zwei, in Nantes vier Jeder kam hier ständig durcheinander.
Die Sonne färbte gerade alles rot, als sie zu ihrem alten Freund Émile in sein Strandrestaurant kam. Heute brauchte sie die Geborgenheit bei einem vertrauten Menschen. Er kam ihr lächelnd entgegen, breitete die Arme aus und alles war gut.
Lene setzte sich an einen Tisch mit ungestörtem Blick auf das Meer. Die Sonne erzeugte jetzt nur noch einen letzten schwachen roten Schimmer auf dem Wasser.
» Heute ist Vollmond, den magst du doch so gern, er geht bald auf«, freute sich Émile für sie. Als er ihr ihren Aperitif brachte, wurde er ernst.
» Hast du etwas mit der Aufklärung des Mordes an der Deutschen zu tun? Du weißt, die Gerüchteküche hier ist schnell. Armes Mädchen. Ich kannte sie nicht, denke ich. Du?«
» Nur wenig. Aber stell dir vor, sie kommt aus derselben Stadt in Deutschland wie ich. Deshalb werde ich offiziell mit dem Kommissar hier zusammenarbeiten. Aber jetzt – was hast du heute Gutes zu essen?«
Sie spürte plötzlich , dass sie doch ziemlich hungrig war. Heute noch allein essen, dachte sie. Aber morgen sind meine drei da.
Über das inzwischen graue Meer schob sich jetzt der Mond über die Horizontlinie. Atemberaubender orangefarbener Mond des Sommers. Was für ein Tag, Sonnenaufgang und Mondaufgang am Meer.
Sie versuchte sich ganz in das immer silberner werdende Licht zu versenken. Da war sie wieder, die Erinnerung. An ein anderes Leben? Rei nkarnation?
Sie war in jenem Sommer hier gewesen, am nächsten Tag wollte sie mit Sophie in die Pyr enäen fahren. Und hatte in der Nacht davor diesen Traum gehabt.
Sie sah sich selbst in einer anderen Zeit, vor sicher mehreren hundert Jahren. Sie hieß Marie, jung und dunkelhaarig. Und vor ihr auf dem armseligen Bett lag ihr Mann, ihre Liebe, ihr wunderschöner Pierre. Sie war erfüllt von Angst und Sorge um sein Leben. Er war krank, und konnte nicht gesund werden, weil sie so arm waren, dass sie nichts zu essen hatten. Als sie vor die grobe Holztür ihrer Hütte trat, schlug ihr die Feuchtigkeit des engen Tals entgegen. Bäume, die sich nach oben zum Licht sehnten, Farne. Wie eng es war! Beklemmend. Steil stiegen rechts und links die Bergwände empor, ein armseliges Herrenhaus klebte an dem rechten Berghang. Der Lehnsherr. Der ihnen unbarmherzig alles genommen hatte, da Pierre durch seine Krankheit zu schwach war um zu arbeiten.
Sie ging zurück in den dunklen Raum. Sie versuchte ihm von der erbärml ichen Suppe einzuflößen, die sie verzweifelt aus Weidenrinde und Pflanzen gekocht hatte. Nichts half, er konnte sie nicht zu sich nehmen. Sie versuchte ihre Lebenskraft auf ihn zu übertragen. Vergeblich. Er starb in ihren Armen.
Tränenüberströmt war sie aufgewa cht. Sie wusste, wer der Mann war. Ihre Liebe auch in ihrem jetzigen Leben. Sie war verwirrt, konnte die Intensität des Traumes kaum verlassen.
Am nächsten Morgen waren sie in die Pyrenäen gefahren. Das erste Mal. Sie hatten sich treiben lassen, fanden Berge und eher sanfte weite Täler, wie sie sie auch aus Österreich kannten. Weit von ihrem Traum entfernt. Sie fuhren und fuhren, entzückt von der Landschaft.
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