Die dem Mond ins Netz gegangen - Lene Beckers zweiter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
Das war, als es noch nicht so voll war hier, also wahrscheinlich im Juni, höchstens kurz nach dem 1.Juli. Und ich kann mich nur an dies eine Mal erinnern.«
Immerhin, ganz schöne Leistung , sich bei dem Betrieb an jemanden zu erinnern, der vor fast drei Wochen hier gewesen war.
» Und ihre Freundin? Haben Sie von der auch ein Foto?«
» Nur das Foto der Leiche.«
Er reichte es Gislain hi nüber, aber der schüttelte bestimmt den Kopf. Er kannte sie nicht.
» Ich bekomme morgen ein besseres und komme dann gegebenenfalls wieder. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Mitarbeit. Hier haben Sie meine Karte, ich hoffe sehr, dass Ihnen doch noch etwas zu dem Gesicht des Mannes einfällt. Rufen Sie mich dann gleich an – egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, ja?«
Gislain nickte. »Ganz bestimmt. Ich weiß ja, was für uns alle hier davon abhängt, dass sie ihn bald finden. Mon Dieu , und das mitten in der Hochsaison«, stöhnte er, als er Renaud hinausbegleitete.
Auf dem Weg zum Ausgang nahm Renaud wahr, dass das Lokal inzwischen ziemlich gefüllt war. Aus den Augenwinkeln sah er beim Hinausgehen zwei junge Frauen, eine blond, die andere dunkel, auf das Bett steigen und dort anfangen sich sinnlich zu liebkosen. Renaud öffnete die Tür zur frischen Strandluft und atmete tief durch.
Auf dem Nachhauseweg fuhr er diesmal Landstraße, d a er noch bei dem Dorf Halt machen wollte, in dem Mme Horman wohnte, die Tochter von Mme Lefèvre.
Er klingelte vor einem kleinen Neubauhaus, dessen Vorgarten ebenso adrett und verspielt wirkte wie das Haus an sich. Kurze Spitzengardinen vor dem Küchenfenster, ein Lavendelsträußchen an der Haustür. Aber vor dieser Haustür lag der Etang, die Lagune, das Salzwasserbecken riesigen Ausmaßes. Der Wind war seit halb sieben wieder eingeschlafen. Milchig spiegelte sich der Abendhimmel im träge daliegenden flachen Wasser, auf dem sich langsam die erste Röte zeigte. Es roch nach Algen und Muschelbänken. Etwas weiter draußen standen Flamingos graziös und schwerelos auf einem Bein, die rosa Farbe ihres Gefieders schien wie eine Reflexion des Himmels. Renaud seufzte kurz. So würde er auch gern wohnen. Als er klingelte, bellte ein dem Klangvolumen nach kleiner Hund, der ihm dann als weißes Knäuel entgegensprang, als sich die Tür öffnete. Eine zarte Frau mit großen braunen Augen sah ihn nicht sehr überrascht an.
» Monsieur le Commissaire? Meine Mutter hat Sie schon angekündigt. Kommen Sie herein.«
T ja, dachte er, der Nachteil der modernen Kommunikationsmöglichkeiten. Genug Zeit für eine Absprache des Alibis. Kurz blitzte in seinem Kopf ein Bild von sich selbst auf – ein vom Ritt erschöpfter Kommissar vor mehr als einhundert Jahren, ohne Telefon, ohne Auto, der sein Pferd am Gartenzaun anbindet. Na gut, das wäre es auch nicht. Dann lieber mit Handykonsequenzen.
Das Wohnzimmer war freundlich und modern gehalten, zarte, lindgrüne Vo rhänge rahmten die Fenster ein und gaben dem Raum etwas Frisches, Frühlingshaftes, aber auch sehr Feminines.
Mme Horm an brachte ein Tablett mit Gläsern und einer Karaffe Wasser herein und stellte es auf den zierlichen Tisch mit mediterranen Kacheln, bevor sie sich auch setzte.
» Fragen Sie, Monsieur le Commissaire«, forderte sie Renaud auf. Dabei wippte ihr am Hinterkopf zusammengebundenes Haar wie der Pferdeschwanz eines Teenagers und bildete einen seltsamen Kontrast zum Ernst ihrer Miene. Der Hund war neben sie aufs Sofa gesprungen und sah sie erwartungsvoll an, als ob er auf die Antwort wartete.
» Ich komme gleich zum Punkt. Ihre Mutter sagte, Sie seien am Tatabend zusammen gewesen?«
» Das stimmt. Wir gehen immer am Nationalfeiertag aus, obwohl es dann in der Stadt so voll ist. Aber an so einem Abend mit all dem Feuerwerk ist es für Samu – sie wies mit dem Kinn auf den kleinen Hund – besser, wir sind in einem Lokal. Unten am Hafen ist es immer stiller als im Nachbarort. Aber Sie wollen sicher die Uhrzeit. Wir sind um neun etwa dorthin und waren gegen viertel nach elf, halb zwölf fertig. Dann noch ein Verdauungsspaziergang – es war so eine schöne Nacht.«
Sie stockte. Dann kam es leise, als ob sich in diesem Augenblick das Bild der Toten über ihr eigenes Erl eben geschoben hätte. „Arme Brigitte. Wann ist sie denn verstorben? Ich meine, getötet worden?«
Als Renaud nicht antwo rtete, seufzte sie kurz, fast unhörbar.
» Dann haben wir meine Mutter nach Hause gebracht. Wir waren um fünf nach halb eins wieder hier.
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