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Die Depressionsfalle

Die Depressionsfalle

Titel: Die Depressionsfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien> , Alfred Springer
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den USA von 1990 bis 1995 die jährliche Produktion von Ritalin sich verfünffachte. 1970 hatte man noch angenommen, dass in den USA 150.000 Kinder mit Stimulanzien behandelt wurden, 1995 nahmen bereits 2,6 Millionen Amerikaner allein Ritalin. Diese Entwicklung machte auch vor Kleinkindern nicht Halt: Auch unter den Zwei- bis Vierjährigen hat sich der Gebrauch psychoaktiver Substanzen in den frühen 90er Jahren verdreifacht. Eine Studie ergab, dass 2002 10 Prozent der Schulkinder in einem Bezirk von North Carolina als ADHS-krank erfasst und 7 Prozent medikamentös behandelt wurden. Da in anderen Ländern zunächst keine vergleichbare Zunahme der Stimulanzienverschreibung eintrat, erzeugten und verbrauchten die USA in den 90er Jahren 90 Prozent des Weltbedarfs an legal konsumiertem Ritalin. In dieser Situation gab dann noch die Vereinigung Amerikanischer Kinderärzte 2010 eine Empfehlung ab, Kinder und Jugendliche von 4 bis 18 Jahren früher und intensiver medikamentös wie psychotherapeutisch zu behandeln. Hausärzte und Kinderärzte sollten bei allen Schulproblemen oder Verhaltensauffälligkeiten auf ADHS untersuchen.
    Schließlich erfasste diese Entwicklung doch auch andere Länder. In den vergangenen 20 Jahren sind auch in Deutschland die Verordnungen für Methylphenidat (Ritalin) um mehr als das Hundertfache in die Höhe geschnellt. Wurden 1990 weniger als 500.000 Tagesdosen des Psychopharmakons verschrieben, betrug die Verordnung im Jahr 2000 schon 13,5 Millionen Einheiten, um 2010 auf 55 MillionenTagesdosen zu steigen. Am 29. 1. 2013 titelte die
Süddeutsche Zeitung
: „Wir haben längst amerikanische Verhältnisse, immer mehr Eltern entscheiden sich, ihren hyperaktiven Kindern Ritalin zu geben.“ Dabei wird die Diagnose ADHS zunehmend häufiger gestellt. Den nüchternen statistischen Zahlen lässt sich entnehmen, dass die Ritalin-Verordnungen in Deutschland ansteigen und dass anzunehmen ist, dass im Laufe der Kindheit und Jugend schätzungsweise zehn Prozent aller Jungen und 3,5 Prozent aller Mädchen mindestens einmal das Medikament erhalten dürften. Auch in Österreich sind vergleichbare Verhältnisse zu beobachten.
    Die Entwicklung ist von einigem Interesse für die Epidemiologie und für die Behandlung der Depression im Kindes- und Jugendalter. Die antidepressive Wirksamkeit der Amphetamine könnte durchaus auch eine Bedeutung für die Wirkung der Substanzen gegen das ADHS haben; zumindest ist nicht auszuschließen, dass mit der Diagnose ADHS die Diagnose Depression verschleiert wird, andererseits aber die Verstimmung mitbehandelt wird. Dafür spricht auch, dass beim Absetzen der Substanz bei Kindern Depressionen auftreten. Die Behandlung der Depression ist sozusagen eine „erwünschte Nebenwirkung“ der ADHS-Therapie.
    Diese Funktion der Amphetamine ist auch vor dem Hintergrund zu berücksichtigen, dass in vielen Ländern restriktive Bestimmungen gegenüber der Anwendung von Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen bestehen. Ein Grund dafür ist, dass 2004 die FDA die Produktionsfirmen der SSRI verpflichtet hat, auf der Verpackung einen Warnhinweis anzubringen, dass Kinder und Jugendliche unter SSRI-Behandlung eventuell einem erhöhten Risiko für Selbstmordgedanken und Selbstmordversuche ausgesetzt sind. 2007 wurde diese Warnung auf die Altersgruppe der jungen Erwachsenen bis zu 24 Jahren erweitert. Es gibt Beobachtungen darüber, dass Fluoxetin bei jungen Menschen dieser Altersgruppen zu suizidalem oder feindseligem Verhalten führen kann. Die Indikation Zwangsstörung musste aufgrund der Nebenwirkungen zurückgenommen werden und wird heute als „bedenklich“ eingestuft.
    Insgesamt ist der Informationsstand bezüglich dieser Frage nicht gut. Insbesondere gibt es nur begrenzte Langzeitdaten zurUnbedenklichkeit der Anwendung bei jungen Menschen hinsichtlich Wachstum und psychischer Entwicklung. Gesicherte Beobachtungen unerwünschter Nebeneffekte schließen Appetitstörungen, Gewichtszuname, Schlafstörungen und in manchen Fällen Entwicklungshemmung ein. So wurde bei zwei Prozent oder mehr der Kinder, die Sertralin erhielten, Nebeneffekte beschrieben, die beim Erwachsenen kaum bekannt waren: Fieber, Überaktivität, Bettnässen, aggressive Reaktionen, Sinusitis, Nasenbluten und andere Blutungserscheinungen.
    In letzter Zeit wurden Hinweise darauf veröffentlicht, dass

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