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Die Depressionsfalle

Die Depressionsfalle

Titel: Die Depressionsfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien> , Alfred Springer
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frühkindlichen Beziehungen zu wichtigen anderen Bezugspersonen, besonders aber zur ‚Mutter‘, ist der Wunsch, sich etwas einzuverleiben, in den Körper hineinzunehmen (Mutterbrust, Flasche), vorrangig. Liebe und Hass sind noch untrennbar zusammen. Die Depressiven scheinen sich selbst mit der gleichen Zwiespältigkeit (Ambivalenz) zu behandeln, mit der sie als kleines Kind die Mutter (wichtigste Bezugsperson) behandelt haben. Das Gefühl der Depressiven, ungeliebt, ja gehasst zu sein, ist häufig eine Konsequenz aus dem primären Hass gegen sich selbst. Den Patienten ist das Gefühlmanifesten Hasses gegenüber den Bezugspersonen unbewusst. Der eigenen Person gegenüber manifestiert sich der Hass in Selbstvorwürfen – dahinter steckt eine selbstverliebte (narzisstische) Überschätzung der eigenen Person. Depressive können sich anmaßend verhalten und keinen Sinn dafür haben, wie sehr sie sich in ihrem Verhalten anderen aufdrängen.
    In dem Selbsthass liegt auch eine Umdrehung des ursprünglich gegen die Objekte – die wichtigen Bezugspersonen – gerichteten Sadismus (des Bedürfnisses, andere körperlich oder moralisch zu quälen, ihnen zu schaden) zum Masochismus (sich selbst zu schaden, sich zu erniedrigen oder Erniedrigung zu provozieren). Die Selbstvorwürfe, die oft sinnlos erscheinen, erhalten dann einen Sinn, wenn man in den Klagen der Patienten an die Stelle des Ich den Namen jener Bezugsperson einsetzt, die dem Kind keine ausreichend liebevolle Zuwendung zuteil werden ließ. Die melancholischen Klagen sind also verkappte Anklagen. Das Gewissen behandelt das eigene Ich so, wie die Kranken unbewusst diese Person behandeln möchten. Es besteht also ein Entwicklungsrückschritt (Regression) auf die Stufe einer primären Verschmelzungsidentifizierung (die Person sein). Dieser Rückschritt führt zum Verlust jedes echten Interesses an der Person, gleichzeitig aber zu einer ungeheuren Abhängigkeit, denn die Bedürfnisbefriedigung bedarf ja einer besonderen Anteilnahme und Nähe.
    Im Umgang mit anderen äußert sich diese psychische Situation bei depressiven Menschen als ein sehr forderndes Verhalten: Immer werden Einfühlung und/oder Verzeihung verlangt, die Person scheint immer darauf bedacht zu sein, ein gutes Einvernehmen herzustellen – ein Verhalten, das auch als ‚Harmonisierungsbedürfnis‘ bekannt ist.
    Alles das ist auch Sache der Psychotherapien, wie in dem Kapitel zur Psychotherapie der Depression gezeigt werden wird.
Das psychische Kräftespiel der Depression
    Das bewusste emotionale Erleben kann folgende Bereiche beinhalten:
    â€¢ Den depressiven Verstimmungszustand, geprägt von unangenehm erlebten Affekten, wie Angst (frei oder gebunden), phobische Zustände, Zwangssymptome, Wut, Scham, Ekel;
    â€¢ Erleben der Zeitverlangsamung;
    â€¢ Hemmung der Erlebnisfähigkeit;
    â€¢ Behinderung des Fühlens und Mitfühlens; mangelnde Selbst- und Objektliebe;
    â€¢ Stupor, d. h. ein Verharren in Starre, oder heillose Agitation;
    â€¢ Schuldgefühle, Selbstvorwürfe bis zu wahnhaften Straferwartungen;
    â€¢ Gefühle von Schmerz, als physischer Schmerz verspürt;
    â€¢ Störungen des Biorhythmus: Schlafstörungen, Störungen von Appetit und Verdauung, Störungen von Libido und Potenz.
    Diese Affekte sind die Antwort auf die unbewusste Erinnerung an ein real vorgefallenes traumatisches Ereignis in der Kindheit, verbunden mit der unbewussten Fantasie oder der Überzeugung, dass sich ein ähnliches Desaster in der Gegenwart ereignen könnte. Ein Beispiel dafür ist das Aufflackern einer Depression bei Menschen, die als Kinder in der Ära des Nationalsozialismus fliehen mussten oder verfolgt oder deportiert wurden. Wenn Medien über derzeit aktuelle Neonazi-Aktivitäten in Österreich oder Deutschland berichten, können diese Berichte Auslöser für eine depressive Verstimmung sein. Häufig ist den Menschen, die ein solches Schicksal erlitten haben, der Zusammenhang ihres aktuellen Zustandes mit den Jahrzehnte zurückliegenden Erfahrungen nicht mehr bewusst – oder sie wollen ihn nicht wahrhaben, weil das zu schmerzhaft wäre. Das vorsichtige Nachfragen, ob ein solcher Zusammenhang nicht denkbar sei, wird trotz des Schreckens der Erinnerung als erleichternd erlebt.
    Solche traumatischen Erlebnisse in der Kindheit – unter Kindheit wird

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