die Detektivin in Jeans
Dicke in dem verwaschenen Parka. Ich meine, das müßte sie sein. Ich
erkenne ihr Fahrrad. Das vordere Schutzblech ist rot, das hintere blau.“
Sandra blickte zum
Fahrradabstellplatz.
Das Mädchen, das Joschi meinte,
sah aus wie jede andere Schülerin: eilig, rotwangig vom schnellen Pedaletreten
und mit dem üblichen abgehetzten „Fast-wieder-zu-spät-Ausdruck“ im Gesicht.
„Geh
ein bißchen näher heran. Spaziere an ihr vorbei. Vielleicht erfährst du, wie
sie heißt“, bat Sandra.
„Wie denn? Und wozu denn das?“
„Ich habe einen bestimmten
Plan. Jemand wird mit ihr sprechen. Halte die Ohren offen“, empfahl Sandra und
lief auf Doris zu, die gerade durchs Schultor kam.
Joschi kam wenig später.
Trotzdem zu spät. Herr Barth packte bereits Hefte aus einer Mappe auf seinen
Tisch, überging jedoch Joschis Zuspätkommen.
Joschi kritzelte etwas auf
einen Zettel und warf ihn Sandra über den Gang hinweg zu.
RUTH stand auf dem Zettel.
Sandra hob ihre rechte Hand und
spreizte Zeige- und Mittelfinger zu einem V, das Zeichen für victory = Sieg.
Doch dies war nur die erste und
leichteste Aufgabe zur Lösung ihres Problems.
Sandra, an diesem Morgen
unaufmerksam wie seit langem nicht mehr, grübelte während der
Unterrichtsstunden darüber nach, wie sie am geschicktesten mit Ruth ins
Gespräch kommen könnte.
Schließlich beschloß sie, einen
Frontalangriff zu wagen.
Doch vorher erkundigte sie sich
bei Joschi: „Hat sie dich wiedererkannt?“
„Das glaube ich nicht. Sie hat
mir direkt ins Gesicht gesehen, aber da war kein Erkennen in ihrem Blick.“
„Gut“, sagte Sandra. „In der
großen Pause ist sie dran. Halte dich abseits, damit sie uns nicht zusammen
sieht.“
Beim ersten Laut der
Pausenglocke sprang Sandra auf.
Frau Klabusch, die in der
zweiten Stunde die Klasse übernommen hatte, unterbrach erstaunt ihre
Schularbeitsangabe.
„Hab was zu erledigen!“ rief
Sandra ihr entschuldigend zu und rannte an ihr vorbei aus dem Klassenzimmer.
Sie lief durch den Flur und die
Treppe hinunter zum Hausportal.
Die ersten Klassen schwärmten
an ihr vorbei auf den Hof. Die 8c trabte an, und Doris hängte sich bei Sandra
ein, um sie mit hinauszunehmen.
Doch Sandra entzog ihr ihren
Arm und sagte: „Geh schon vor. Ich komme nach. Muß auf jemand warten.“
Endlich kam Ruth in einer
Gruppe schwatzender Mädchen.
Sandra folgte ihnen.
Sie zögerte noch, Ruth
anzusprechen.
Die Mädchen blieben stehen und wickelten
ihre Pausenbrote aus. Zwei von ihnen kehrten um und gingen ins Schulgebäude
zurück, vermutlich um sich am Automaten um Milch oder Fleischbrühe anzustellen.
Sandra gab sich einen Ruck,
ging zielstrebig auf den Rest der Gruppe zu und tippte Ruth, die mit dem Rücken
zu ihr stand, an. „Kommst du mal?“
Ruth wandte ihr ein erstauntes
Gesicht zu. „Was ist denn?“ muffelte sie mit vollem Mund.
Sandra winkte sie mit einer
Kopfbewegung beiseite und ging voraus.
Ruth löste sich aus dem Kreis
und folgte ihr, während Sandra kleinere Schritte machte, damit Ruth sie
einholen konnte.
Als sie auf gleicher Höhe
waren, hängte Sandra sich bei ihr ein, als ob sie Freunde wären.
Gemäß ihrer beschlossenen
Taktik, Ruth zu überrumpeln, sagte Sandra einleitungslos: „Gesine ist fort.“
Sie spürte an der Berührung
ihres Armes, wie Ruth zusammenzuckte.
Doch Ruth war gewitzter, als
Sandra angenommen hatte. Sie zog ihren Arm aus Sandras Umklammerung und blieb
stehen. Große, verwunderte Augen blickten Sandra an. „Wozu sagst du mir das?
Kenne ich sie?“
Sandra lachte ärgerlich. „Und
ob du sie kennst! Denke einmal nach.“
Ruth schien angestrengt
nachzudenken. Sie runzelte sogar ihre Stirn in dem Bemühen, sich an ein Mädchen
namens Gesine zu erinnern.
Dann schüttelte sie heftig den
Kopf. „Kenne ich nicht. Und dich kenne ich auch nicht. Du mußt mich
verwechseln.“
Sandra fühlte sich unsicher.
Sollte Joschi sich geirrt
haben? Hatten sie die Falsche erwischt?
Sie hielt das Mädchen, das zu
seiner Gruppe zurückgehen wollte, am Arm fest. „Du bist doch Ruth, nicht?“
fragte sie, um Zeit zu gewinnen.
„Na und? Was willst du
eigentlich von mir?“ fragte Ruth aufmüpfig.
„Mit dir reden.“
„Dann rede. Aber beeil dich.
Ich möchte mir nämlich einen Kakao ziehen.“
„Dein Fahrrad hat eine ziemlich
auffällige Lackierung“, sagte Sandra und blickte Ruth fest in die Augen.
Ruth stutzte, und Sandra meinte
eine Spur von Angst in ihrem Blick zu entdecken.
Selbstsicher
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