Die Deutsche - Angela Merkel und wir
eine Frau wie Angela Merkel, die von der unbekannten DDR-Bürgerin sofort zur Bundesministerin aufstieg. Über ihre Abschlussarbeit im Pflichtfach Marxismus-Leninismus, über Zwänge und Freiräume im DDR-Wissenschaftsbetrieb sprach die CDU-Politikerin lieber nicht, wollte sie sich bei den Anhängern im Westen keine Sympathien verscherzen.
Zu solchen Fragen äußert sich allenfalls ihr Ehemann,und auch das nur an einem entlegenen Ort wie der Zeitschrift der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Dort berichtete Joachim Sauer zum zehnjährigen Jubiläum der Wiedervereinigung, dass ihn der Parteisekretär an der Akademie der Wissenschaften anlässlich eines SED-Parteitags zu einem Beitrag für die Wandzeitung genötigt hatte. »Ich musste also etwas schreiben, was die Genossen hören wollten, und doch einen ›kleinen Hammer‹ einbauen, damit ich nicht gleich wieder gebeten würde«, sagte Sauer. »Jetzt stellen Sie sich vor, das Papier würde heute im Spiegel publiziert. Dann würde der ›kleine Hammer‹ vielleicht gar nicht wahrgenommen und stattdessen darin ein Bekenntnis zur Partei gesehen.« Die Debatte, die im Mai 2013 um Merkels Rolle als FDJ-Sekretärin aufflammte, sollte Sauers Einschätzung bestätigen. Diesmal verkniff sie sich ihren Hinweis aus dem Jahr 2004, »dass auch die Menschen im Westen jeden Tag Kompromisse machen müssen zwischen ihren Überzeugungen und dem, was der Alltag verlangt«.
Dabei redet sie eigentlich wieder ein wenig freizügiger über ihre Zeit in der DDR, seit sie als Bundeskanzlerin völlig unangefochten ist. Es sind interessante Gespräche, bei denen Westdeutsche einiges lernen können. Wenn Merkel nach Chile fliegt, dann denkt sie nicht nur an die von ihr so bewunderte ökonomische Dynamik und nicht nur an die liberale Wirtschaftspolitik des gerade amtierenden Präsidenten. Sie denkt auch daran, wie die DDR Anfang der siebziger Jahre mit dem sozialistischen Präsidenten Salvador Allende sympathisierte, der als zweites amerikanisches Staatsoberhaupt nach Fidel Castro diplomatischeBeziehungen mit der DDR aufnahm. Merkel war gerade 19 Jahre alt, als General Augusto Pinochet die gewählte Regierung wegputschte und chilenische Exilanten an die Leipziger Universität kamen. Später musste die Christdemokratin Merkel mit Erstaunen feststellen, dass sich viele in ihrer Partei aus Distanz zu Allendes Politik dazu verleiten ließen, die Untaten des Pinochet-Regimes allzu lange zu beschönigen.
Über solche Fragen redet Merkel wohl dosiert und lieber nicht vor laufenden Kameras. »Ja, es ist ein großer Vorteil aus DDR-Zeiten, dass man gelernt hat zu schweigen. Das war eine der Überlebensstrategien«, sagte sie lange vor dem Einzug ins Kanzleramt zu ihrer Biografin Evelyn Roll. Sie fügte einen Halbsatz hinzu, der dem politischen System des Westens nicht das beste Zeugnis ausstellt: »Ist es ja noch.«
Aber nicht immer bevorzugte Merkel das Schweigen als Herrschaftsmittel. Manchmal hat sie sich aus strategischem Kalkül auch weit hervorgewagt, mit einer bemerkenswerten Angstfreiheit. Das galt, zumindest früher einmal, nirgends so sehr wie beim Thema Krieg.
KAPITEL 6:
KRIEG
Für die finale Provokation wählte Angela Merkel wieder einmal das Medium eines Zeitungsartikels – und die internationale Bühne. In der Washington Post erschien am 20. Februar 2003 ein Namensartikel der CDU-Vorsitzenden, der die Überschrift trug: »Schröder Doesn’t Speak for All Germans«. Es ging um den Irak-Krieg, das brüske Nein Gerhard Schröders hatte Merkel schon im Wahlkampf des Vorjahres kritisiert. Diesmal legte die Frau, die angeblich keine Überzeugungen hat, noch eins drauf. Sie orchestrierte mit dem Artikel ihren Besuch in den Vereinigten Staaten und setzte sich damit über das ungeschriebene Gesetz hinweg, dass eine Oppositionsführerin die Politik der eigenen Regierung vom Ausland aus nicht kritisiert.
Sie zeigte, dass sie sich durch Schröders Wahlsieg im Jahr zuvor nicht hatte einschüchtern lassen, den der Bundeskanzler nicht nur den Fluten von Elbe, Mulde und Wilder Weißeritz zu verdanken hatte, sondern auch dem Wahlkampfversprechen, eine militärische Intervention im Irak sei »mit uns nicht zu machen«. Vier Wochen vor Merkels USA-Reise hatte Schröder dem amerikanischen PräsidentenGeorge W. Bush vom niedersächsischen Goslar aus die endgültige Haltung der Bundesregierung mitgeteilt. »Ich sag’ das hier jetzt ein Stück weit weitergehend, als das, was ich in dieser Frage sonst
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