Die Deutsche - Angela Merkel und wir
Sache mit der Lohnsumme, an die eine steuerfreie Weitergabe von Familienbetrieben gekoppelt sei, da müsse man wegen der Krise noch mal ran. Tatsächlich war das dann fast das einzige, was die Koalition im ersten Dreivierteljahr ihrer Amtszeit tat – von der Mehrwertsteuerbefreiung für Hotelbetten einmal abgesehen. Juristische Fachverlage klagten, die schwarz-gelbe Regierung sei wegen der geringen Zahl an neuen Gesetzen schlecht fürs Geschäft.
Einen Monat nach der Pressekonferenz im Adenauer-Haus saß Merkel wieder vor den Hauptstadtjournalisten, diesmal vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz. Sie sprach über die Koalitionsvereinbarung, die sie unter Mühen mit dem FDP-Chef Guido Westerwelle und dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer ausgehandelt hatte. Während die beiden anderen so taten, als würden sie sich jetzt mögen, blieb Angela Merkel ganz kühl. »Ich bin wahrscheinlich älter und reifer geworden«, sagte die Kanzlerin auf die Frage, was bei ihrer Wiederwahl nun anders sei als beim Amtsantritt 2005. Der Wechsel des Koalitionspartners schien ihr keiner weiteren Erwähnung wert zu sein, dabei war er durchaus von Belang. Die SPD hatte zumindest theoretisch eine andere Machtoption im Bundestag gehabt, der FDP fehlte sie.
Geändert hatte sich deshalb vor allem eines: Angela Merkel war jetzt mächtiger als je zuvor. So war es bislang nach jeder Wahl gegangen. 2002 hatte der Kandidat Edmund Stoiber verloren und Merkel den Fraktionsvorsitz gewonnen. 2005 hatte die CDU kräftig Stimmen eingebüßt,aber die Parteivorsitzende war ins Kanzleramt eingezogen. Und nun auch wieder: In Partei und Regierung besetzte Merkel die Schlüsselpositionen mit ihren Leuten, sie neutralisierte die Gegner, sie speiste die FDP mit undankbaren Kabinettsposten und vagen Absichtserklärungen ab.
Westerwelle musste sich derweil dafür rechtfertigen, dass er für die FDP keine wichtigeren Ressorts herausgeschlagen hatte. Statt auf eine entsprechende Journalistenfrage die Bedeutung der fünf FDP-Ministerien herauszustreichen, hielt der Parteivorsitzende einen mäßig eleganten Vortrag über die Vertraulichkeit von Chefgesprächen. Zur Frage der Ressortverteilung habe es »engagierte Verhandlungen« gegeben. Das war die höfliche Umschreibung dafür, dass die Kanzlerin die liberalen Ambitionen auf das wichtige Finanzressort vereitelt hatte. Nun blieben der FDP zweitrangige Posten und zweitrangiges Personal.
Ziemlich vage waren auch die verbalen Zugeständnisse, die Merkel der FDP im Koalitionsvertrag machte. Bis zwei Uhr früh stritt sie mit Westerwelle in der letzten Verhandlungsnacht über die Steuerreform. Die FDP bekam am Ende den Satz zugestanden, die Koalition wolle »den Einkommensteuertarif zu einem Stufentarif umbauen«. Er solle »möglichst« zum 1. 1. 2011 in Kraft treten. Zwei Absätze zuvor hieß es, die geplante Entlastung um 24 Milliarden Euro solle »im Laufe der Legislaturperiode« erfolgen. Was solche Sätze angesichts einer Rekordverschuldung später wert sein würden, verdeutlichte der künftige Finanzminister Wolfgang Schäuble in ersten Interviews. »Wir fahrenweiter auf Sicht«, erklärte er schon, als der Koalitionsvertrag noch gar nicht förmlich unterschrieben war. Man wolle Steuersenkungen »versuchen«, der Vorteile des Stufentarifs sei er sich »nicht so ganz sicher«.
Beim zweiten Kernthema der FDP, der Gesundheitsreform, bemühte die Koalitionsvereinbarung sogar das Wort »langfristig«, um den Zeithorizont für die Einführung einer Kopfpauschale zu beschreiben. »In der Gesundheit ändert sich zunächst einmal gar nichts«, versicherte der CSU-Vorsitzende Seehofer. Merkel hörte mit dem leeren Gesichtsausdruck zu, den sie so virtuos beherrscht wie kaum ein anderer Politiker. Für sie würde es kein Schaden sein, wenn sich CSU und FDP gegenseitig blockierten. Das eröffnete ihr Spielräume für situative Politik. Nach außen ergab das zwar schon damals kein glanzvolles Bild, aber um des bloßen Glanzes willen hat Merkel machtpolitische Fragen noch nie zurückgestellt.
Auf Bilder dagegen achtete sie auch während der Koalitionsgespräche. Sie vermied Fotos von einem schwarz-gelben Siegestaumel. Gerhard Schröder und Joschka Fischer hatten die Bilder bereut, die sie mit Sektschalen im Freudenrausch zeigten. Stattdessen trat Merkel während der Koalitionsgespräche zweimal auf Veranstaltungen der Gewerkschaften auf. Die Feier zum 60-jährigen Jubiläum des DGB im prunkvollen Berliner Konzerthaus am
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