Die Deutsche - Angela Merkel und wir
hätten. Im September 2009 reichte es dafür nicht. Von da an regierte Merkel also mit der FDP, in der Koalition, die sie während des Wahlkampfs tapfer als ihr Wunschbündnis bezeichnet hatte.
Als ein gemeinsames Projekt betrachtete Merkel diese Regierung längst nicht mehr, das war schon am Wahlabend klar. Sie sah das Risiko, dass die polarisierende Schärfe der FDP der CDU schaden könnte. Das neue Bündnis beruhte auf einer rechnerischen Mehrheit im Bundestag und vorerst noch im Bundesrat, das war alles. Dass sich viele in der FDP und auf dem Wirtschaftsflügel der Union einen Politikwechsel versprachen, machte die Aufgabe der Kanzlerin nicht einfacher. In Wahrheit war das Regieren von nun an sehr viel schwerer als in der großen Koalition.
Noch am Wahlabend dementierte Merkel die neue Farbenlehre. »Mein Verständnis war und ist es«, sagte sie, »dass ich die Bundeskanzlerin aller Deutschen sein möchte.« Es blieb ihre Linie fürs erste Jahr der Koalition. Ihre wichtigsten Minister sandte sie aus, um mit Interviews zu sanften Wohlfühlthemen in linksliberalen Medien bei der urbanen Bildungsschicht zu punkten. Ob nun der kurzzeitige Innenminister Thomas de Maizière die Internetgenerationumwarb, der neue Umweltminister Norbert Röttgen den grünen Zug der Schwarzen unterstrich oder Ursula von der Leyen zu Frauenthemen sprach, die Absicht der CDU war klar: Die Partei sollte unter der Aversion des Bürgertums gegen die FDP nicht leiden.
Als Angela Merkel am Tag nach dem Wahlabend im Lichthof des Berliner Konrad-Adenauer-Hauses erneut vor die Presse trat, rieben sich manche Zuschauer die Augen. Das betraf vor allem solche, die das Prinzip Merkel bis dahin nicht verstanden hatten, also die künftigen Koalitionspartner von der FDP. Merkel tat so, als habe sich gar nichts Besonderes ereignet. Als sei es im Grunde gleichgültig, von welchen Parteien sie zur Kanzlerin gewählt würde. Der Anlass ihres Auftritts blieb diffus. Nur wegen der vielen Übertragungswagen vor der Tür wäre ein unbeteiligter Beobachter auf die Idee gekommen, dass am Vortag eine Bundestagswahl stattgefunden hatte, dass daraus eine neue Koalition hervorgehen würde, dass Merkel dieses schwarz-gelbe Regierungsbündnis noch vor vier Jahren mit der Aussicht auf einen ganz großen Politikwechsel verbunden hatte. Aus Merkels Worten hätte er all dies nicht schließen können.
Ein Journalist wollte von der Bundeskanzlerin wissen, ob das Publikum nun eine andere, eine schwarz-gelbe Angela Merkel erleben werde. »Sie werden mich so kennenlernen, wie ich bin«, antwortete sie. Aber wie ist Angela Merkel? Als ob das nicht die Frage wäre, die spätestens seit der Übernahme des Parteivorsitzes im Jahr 2000 alle beschäftigte und die auch an diesem Montag im Berliner Konrad-Adenauer-Haus verhandelt wurde.
Natürlich wollten alle wissen, wann denn die von Schwarz-Gelb erwarteten »sozialen Grausamkeiten« kämen, fast schon lustvoll wurde danach gefragt. »Ich werde darauf achten, dass die Mehrheitsfähigkeit der CDU nicht gestört wird durch den Koalitionsvertrag«, entgegnete Merkel. Die Termine, an denen diese Mehrheitsfähigkeit getestet würde, standen ihr damals schon vor Augen. Nicht nur die nordrhein-westfälische Landtagswahl ein gutes halbes Jahr später hatte sie im Blick, sondern auch die baden-württembergische in anderthalb Jahren – und natürlich auch schon die nächste Bundestagswahl.
In den vier Jahren der großen Koalition hatte Merkel gerne auf die SPD verwiesen, um die Begehrlichkeiten des eigenen Wirtschaftsflügels abzuwehren. Nach dem schwarz-gelben Wahlsieg brauchte sie nur 24 Stunden, um die Finanzkrise als neuen Bündnispartner zu entdecken. »Solange wir im Tal sind, ist die Frage nach Sparmaßnahmen nicht richtig gestellt«, sagte sie an jenem Montagmittag in der Parteizentrale. Schon der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt habe den Fehler begangen, die Staatsausgaben nach den Konjunkturprogrammen des New Deal zu rasch zurückzufahren. Zur Roosevelt-Depression kam es acht Jahre nach dem Börsencrash von 1929. Da hatte die Kanzlerin ja noch ein bisschen Zeit.
Fast schon verzweifelt fragte einer der konservativsten unter den anwesenden Journalisten, ob Merkel denn mit der SPD rein gar nichts beschlossen habe, was sie mit der FDP nicht genauso wiederholen könnte. »Das wissen Sie doch, dass es das nicht heißt«, gab die Kanzlerin ein weniggereizt zurück. Spontan fiel ihr ein Detail der Erbschaftsteuer ein: Die
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