Die Deutsche - Angela Merkel und wir
Steuergeld verteidigt. Dabei trifft der Eindruck, Merkel sei in den Krisenländern durchweg unbeliebt, bei näherer Betrachtung gar nicht zu. Nach einer europaweiten Umfrage des amerikanischen Pew-Instituts aus dem Jahr 2012 war Merkel fast überall beliebter als der jeweils heimische Regierungschef. So hießen zum Beispiel 63 Prozent der Spanier die Politik der deutschen Regierungschefin gut, während der eigene Ministerpräsident Mariano Rajoy nur auf eine Zustimmungsrate von 45 Prozent kam. Selbst der damals noch relativ frisch ernannte italienische Übergangspremier Mario Monti lag mit einem Popularitätswert von 48 Prozent hinter der Berliner Amtskollegin zurück, die immerhin bei 55 Prozent der Italiener hoch im Kurs stand. Allerdings drückt sich darin vor allem ein Misstrauensvotum gegenüber der politischen Klasse deseigenen Landes aus, weniger ein überschwängliches Lob für Merkel; zudem hatten sich die Werte bei einer neuerlichen Umfrage im Mai 2013 deutlich verschlechtert.
Besonders krass fiel das mediale Zerrbild aus, als Merkel im Herbst 2012 den Portugiesen einen Besuch abstattete. Weil Ministerpräsident Pedro Passos Coelho seine deutsche Amtskollegin auf einer Festung empfing, berichteten die mitgereisten Journalisten, wie von Merkel gewünscht, über eine angeblich von Protesten belagerte Bundeskanzlerin. Nur im Kleingedruckten erfuhr man, was die Besucherin aus Deutschland vor ihrer heimischen Öffentlichkeit geheim halten wollte: dass es nur wenige hundert versprengte Demonstranten waren, die in der weit entfernten Innenstadt von Lissabon gegen die Politikerin aus der Uckermark protestierten.
Wie stets in der Euro-Krise, ist Griechenland auch in dieser Frage die große Ausnahme. Allein in dem Balkanland ist Merkel tatsächlich unbeliebter als der eigene Regierungschef. Nach den Zahlen des Pew-Instituts fand die deutsche Bundeskanzlerin dort nur bei 14 Prozent der Befragten Unterstützung. Den Kurs des Athener Ministerpräsidenten Antonis Samaras befürworteten hingegen 32 Prozent, auch dies ist im internationalen Vergleich ein bemerkenswert geringer Wert. Der Umfrage zufolge haben 78 Prozent der Griechen ein negatives Bild von Deutschland, hier sind sie ebenfalls die große Ausnahme auf dem ganzen Kontinent.
Wäre Angela Merkel in Westdeutschland aufgewachsen, hätte sie wahrscheinlich einen Schüleraustausch mit Frankreich gemacht oder mit dem Schulchor eine Konzertfahrtnach Italien unternommen. Bis in die Achtzigerjahre lag für die Bundesdeutschen des akademischen Milieus im Westen und Süden das Sehnsuchtsland, das für gutes Essen und guten Geschmack stand, für freundliche Umgangsformen und Lebenskunst. Es war das Gegenmodell zur Schrankwand aus Eiche und zum Abendbrot mit Leberwurst, die seinerzeit in Deutschland noch den Alltag bestimmten. Auch beeindruckte es die Westdeutschen der zweiten und dritten Nachkriegsgeneration, dass es selbst in einem Bergstädtchen in den Abruzzen so etwas wie ein öffentliches Leben gab, dass man abends nach draußen ging und nicht zu Hause vorm Fernseher verharrte. Manch ein Westdeutscher, der sich nach dem Mauerfall in Richtung Osten aufmachte, war von der dortigen Unkenntnis über diese Sehnsuchtsorte frappiert: Als der Publizist Erich Böhme damals die Berliner Zeitung übernahm und von seinem Ferienhaus im Périgord schwärmte, antworteten ihm nur ahnungslose Blicke, wurde aus der Redaktion kolportiert.
Europa war für die Westdeutschen der Schlüssel, um dem eigenen Nationalstaat zu entkommen, die Reiselust war auch eine Flucht aus dem langen Schatten der deutschen Geschichte. Die Bundesrepublik galt ihrer intellektuellen Elite als »postnationale Demokratie«. An die Stelle der Nationalisten waren Verfassungspatrioten getreten, die ihr Grundgesetz stolz unter dem Arm trugen. Die ostdeutsche Heimat der späteren Bundeskanzlerin war hingegen ein fremdes, unattraktives Land, das in den Urlaubsplanungen keine Rolle spielte. Stießen junge Besucher in West-Berlin auf Straßennamen wie Hallesches Ufer oderKottbusser Tor, hielten sie diese für Verweise auf historische Orte, nicht auf real existierende Städte der Gegenwart. Die Wenigen, die dennoch in die DDR fuhren, sahen dort entweder ihre verlorene Heimat oder das alte, zu überwindende Deutschland – von den Wehrmachtsuniformen der Armee über den preußischen Umgangston der Volkspolizisten bis zu den zerschossenen Kriegsruinen in den Städten. Dass einige westdeutsche Medien das Bild der DDR
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