Die deutsche Götterlehre
und war ein allgemeines Fest.
Diesen Zeichen und Boten folgte der Sommer selbst, aber er sties nun auf den alten Erbfeind. Der Kampf, welcher sich zwischen beiden entspann, so wie des Sommers Einzug und des Winters Ende wurde und wird förmlich dargestellt. In Stroh oder Moos gekleidet tritt der Winter dem in Epheu oder Singrün gehüllten Sommer entgegen und nach kurzem Kampfe wird jener niedergeworfen, gefesselt, geschlagen und ausgetrieben.
Mehr nach Franken, dem Spessart und der Rhön zu tritt an die Stelle des Winters der Tod ; denn der Winter ist das todähnliche kalte Starren der Natur, welches dem warmen lebensvollen Hauch des Sommers weichen muss. Tiefer in Franken 96 hört der Kampf auf und finden wir das blosse Vertreiben oder Hinaustreiben des Todes. Er wird durch ein Bild dargestellt, welches man umträgt und dann ins Wasser wirft oder verbrennt. Man stritt darum, in welchem Hause das Bild gemacht werden sollte, weil dort in dem Jahre Niemand starb.
Glänzender war die Einholung des Sommers bei Schweden und Gothen, wo am ersten Maitag sich zwei Geschwader Reiter versammelten: das eine hatte einen mit Pelzen und dicken, warmen Kleidern bedeckten mit einem Spies bewaffneten Führer, der mit Schnee und Eis um sich warf; des andern Führer hiess der Blumengraf , er war mit grünen Zweigen, Laub und Blumen bedeckt, trug leichte Kleider und keine Waffen. Diese beiden hielten ein förmliches Gefecht, wobei der Sommer den Winter zu Boden zerrte. Der Winter und sein Gefolge warfen wohl mit Asche und Funken um sich, doch des Sommers Gefolge wehrte sich mit laubigen Birkenzweigen und grün ausgeschlagenen Lindenästen; ihm wurde vom Volke der Sieg zugesprochen. Dieser Mairitt unter des Maigrafen Anführung war gleichfalls in Niederdeutschland üblich, doch mangelt hier der Kampf. In feierlichem Zug wurde der Maigraf in die Stadt eingeholt; er sass auf dem im Walde gehauenen Maiwagen, den vier Pferde zogen und dessen Maien und Laub in der Stadt vertheilt wurden.
In all diesen Bräuchen tritt die Persönlichkeit der alten Götter, oder wenn man will, der alten Riesen Sommer und Winter bis auf diese Stunde stark und klar hervor. Gerade so wie hier der Sommer, zieht wie wir früher gesehen Nerthus, Holda und Perehta in das Land und Freude und Jubel empfangen sie allerwärts. Wie sie die Fruchtbarkeit spendenden, Alles neu belebenden Göttinnen sind, so ist der Sommer der die winterlichen Bande der Erde lösende, sie mit irischem Grün kleidende Gott.
Zeit und Welt. 97
Unsere Sprache hat für den Begriff Zeit verschiedene Ausdrücke, jenachdem der Abschnitt derselben ein grösserer oder kleinerer ist. Vorerst das Wort Zeit selbst, d. i. die vorschreitende, fortrückende, dem gegenüber Weile als die ruhende Zeit gilt. Gothisch drückt auch mêl, unser mal Zeit, Stunde aus; es ist ursprünglich Zeichen und wurde vom Raum auf die Zeit übertragen. Dieselbe Vorstellung der Ruhe, wie bei Weile, liegt auch bei Stunde zu Grund, denn es ist abgeleitet von standan, stehen; ebenfalls bei dem althochdeutschen stulla , welches mit stille zusammenhängt, während bei dem Ausdruck für den kürzesten Zeitabschnitt wieder die Bewegung hervorbricht: Augenblick ist die Zeit, welche das obere Augenlid gebraucht, um sich mit dem untern zu verbinden. So ist denn Zeit die gross und gewaltig dahin rollende Woge, Augenblick gleichsam der Tropfen, der in ihrem Rollen emporgeworfen wird, um sich sogleich wieder ihr zu vereinigen. Eine längere Dauer der Zeit drücken wir durch Alter aus, welches oft auch mit Zeit verbunden wird: Zeitalter, und ehedem mit wër, der Mann, verbunden das Wort Wëralt 98 bildete, welches umgekehrt, wie mal aus dem Raum in die Zeit überging, aus der Zeit in den Raum übergehend, unser Welt wurde.
Daher kommt es, dass noch das deutsche Mittelalter die Welt durch eine Bildseule darstellte, welche die verschiedenen Zeitalter symbolisch in sich vereinigte. Ihr Haupt war golden, Brust und Arme silbern, der Bauch ehern oder eisern, die Füsse irden. Dass diese Vorstellung, die uns aus der griechischen Mythologie bekannter ist, auch bei unsern Vorfahren lebte, dafür zeugt schon, dass Alles, was von den Göttern stammt, oder in ihrem und selbst der untergeordnetern göttlichen Wesen Besitz ist, golden erscheint, wie wir dies vielfach zu sehen in den vorigen Abschnitten Gelegenheit hatten.
Wir wissen, dass das Alterthum sich die Erde rund dachte, daher Erdkreis . Sie war vom Meer umflossen, darum heisst sie noch
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