Die deutsche Seele
gekommen bin, indem ich aus dem Osten wegging? Aus dem Ostblock, aus diesem Ostblockstaat.
Ich nahm mein Mutterland mit, im Kopf, als Konterbande, meine Muttersprache und, eine Kleinigkeit, die deutsche Kultur. Das ganze Gerede über Migration und Integration spart eines aus, das Deutsche. Das, was Deutschland ausmacht und mit Deutschland uns selbst.
Ja, wir haben es vergessen.
Wir können auch erklären, warum wir es vergessen haben.
Manche meinen sogar, es sei gut gewesen, das alles zu vergessen, dass es Schnee von gestern sei, der unter Umständen wie Blei liegen würde. Diesen schweren Schnee, wer möchte, wer sollte ihn schon heben?
Wer, wenn nicht wir?
In der Nachkriegszeit wurde, nach Flucht und Vertreibung aus dem Osten, zunächst einmal der Heimatverlust zum großen Thema. Die nachrückenden Generationen durften im besten Fall eine Heimatstadt ihr Eigen nennen. Es ist heute kaum noch vorstellbar, was alles den Dämonen der Geschichte vor die Füße geworfen wurde.
Erst mit den siebziger Jahren kehrt das Selbstverständliche vorsichtig in die deutsche Öffentlichkeit zurück. Wofür man kurz davor noch abgestraft wurde, das durfte plötzlich ein Filmemacher: Edgar Reitz. Er durfte seine Fernsehfamiliensaga aus dem Hunsrück Heimat nennen. Das war eine Sensation. Die deutsche Seele war für einen großen Augenblick erschüttert.
Reitz hat ein Monumentalwerk geschaffen, unter dem Oberbegriff »Heimat« sind seit 1980, in zwanzig Jahren, dreißig Filme entstanden. Sie erzählen Familiengeschichte im Spannungsfeld zwischen Region, Provinz und Nation. Heimat ist damit Region, sie kann Provinz sein und sie ist Baustein der Nation. Ursprünglich war Heimat ein Begriff der Grundbuchverwaltung. Heimat bezeichnete alles, was zum Besitz einer Familie gehörte, insbesondere Haus und Grundstück. »Das Haus ist ein Ziel«, schreibt Reitz in dem Bildband Die Heimat Trilogie, den er im Jahr 2004 herausgegeben hat. »Wenn man es betritt, ist man angekommen. Wenn man es verlässt, braucht man ein neues Ziel. Ein Haus allein ist nicht Heimat, aber eine Heimat ohne Haus ist leer.«
Man könnte diesen Gedanken weiterführen und sagen, ein Vaterland ohne Heimat sei leer. Denn was ist schon die Vaterlandsliebe, was wäre sie ohne ein Heimweh?
Und seither?
Von den Schriftstellern hat es Bernhard Schlink mit dem im Jahr 2000 publizierten Essay Heimat als Utopie nochmals probiert. Er brachte Heimat mit einem populären Intellektuellenbegriff in Verbindung, mit dem »Exil«, und auch in der Sache der Utopie kam er in der Nachfolge von Ernst Bloch zu einer Kompromissformel. »Heimat ist ein Ort nicht als der, der er ist, sondern als der, der er nicht ist.« Daran mögen sich die Dialektiker der Aufklärung ergötzen.
Wir aber gehen einen Schritt weiter. Wir sagen: Heimat ist eines der schönsten Wörter der deutschen Sprache.
>Gemütlichkeit, Kleinstaaterei, Männerchor, Mittelgebirge, Sehnsucht
Jugendherberge
Unlängst verirrte ich mich im Internet und gelangte auf die Seite des Deutschen Jugendherbergswerkes. Nun gut, dachte ich, Jugendherbergen waren schon immer dazu da, dem müden Wanderer Rast zu bieten. Kaum hatte ich das Portal durchschritten, das mich mit dem Spruch »Gemeinschaft erleben!« begrüßte, kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Unter dem Stichwort »Häuser mit Profil« erfuhr ich von »Kultur-Jugendherbergen«, in denen »die jungen Gäste« alte Würstchendosen bemalen dürfen, um diese als Lichtreflektoren bei Bühnenshows einzusetzen. Ich las von »Graslöwen-Klassenfahrten«, die Grundschülern »erlebnisorientierte und hochwertige Programme rund um das Thema Nachhaltigkeit« bieten. Die »erste ökologische Wohlfühl-Jugendherberge Deutschlands« in Mirow, im Herzen der Mecklenburgischen Seenplatte, wirbt mit »fraktalen Seminarräumen« (»Weltpremiere!« »Lernräume der Zukunft!«) und »organisch-flurloser Wohlfühlarchitektur«. Das »Sunday-Funday«-Projekt will Kinder und Jugendliche spielerisch mit der Solarenergie vertraut machen, indem es ein »Solarifahri« bereitstellt, einen Bollerwagen mit Solarzelle, der bei Ausflügen mitgezogen werden kann und zu einer »Solar-Disko« auf dem Dorfplatz oder »Solar-Kochen« auf grüner Waldlichtung anregt. Die »Gesundheits-Jugendherberge« Finnentrop-Heggen wiederum lädt ein zum »Düfte schnuppern, Wände ertasten, Farbe fühlen«, abends finden Lehrgänge zum Thema Kneippen und Sauna-Anwendung statt. Das Essen, wird
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