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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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keine wandernde Jugend mehr begegne, wann immer sie in den Wald gingen. Die »stählerne Romantik«, wie sie den Nationalsozialisten vorschwebte, war eben doch nur eine sehr entfernte Cousine der naturverbundenen Romantik á la Wandervogel.
    Wilhelm Münker legte seine Arbeit für das Jugendherbergswerk schon im September 1933 nieder. Richard Schirrmann harrte, obwohl er aus allen offiziellen Funktionen hinausgedrängt worden war, noch bis 1937 auf seiner geliebten Burg Altena aus, dann wurden auch ihm die Schikanen von Rodatz’ Kumpanen zu viel und er zog sich in den Taunus zurück.
    Weder Schirrmann noch Münker waren Nationalsozialisten. Widerständler waren sie allerdings nur auf sehr eingeschränkte Weise. Münker schreckte beispielsweise nicht davor zurück, wann immer es um Umweltschutz ging, Seite an Seite mit einem strammen Parteimitglied wie Wilhelm Lienenkämper zu kämpfen, der sich 1938 im Sauerländischen Gehirgsboten über den »Naturschutz vom Nationalsozialismus her gesehen« Gedanken gemacht hatte. Auch befand Münker sich in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des »Ausschusses zur Rettung des Laubwaldes« in enger gedanklicher Nachbarschaft mit dem Konzept »Dauerwald«, das Reichsforstmeister Göring zumindest in den ersten Jahren seines Treibens als forstwirtschaftliche Marschrichtung vorgegeben hatte. Liest man Texte, die der unverändert leidenschaftliche Zivilisationskritiker Münker nach 1945 geschrieben hat, könnte man denn auch zu dem Schluss kommen, das größte Verbrechen des »Dritten Reichs« hätte darin bestanden, dem deutschen Jugendwandern den Garaus gemacht zu haben.
    Im Oktober 1949, wenige Monate nach Gründung der Bundesrepublik, gründete sich in Altena auch der Hauptverband des deutschen Jugendherbergswerks neu. Die mittlerweile 75-jährigen Herren Schirrmann und Münker wurden zum Ehrenpräsidenten bzw. Ehrenmitglied ernannt. Im Vorwort zur Jubiläumsbroschüre erklärte der Herausgeber der »Jugendburg-Bücherei« in einer eigenwilligen Verquickung von alt- und neudeutscher Rhetorik: »40 Jahre schon - also ein gutes Menschenleben lang - wird immer stärker vom Jugendherbergswerk als einer echt deutschen Idee und Schöpfung gesprochen und geschrieben, und es gibt wahrlich kaum eine Tat, die so deutsch im tiefsten und weitesten Sinne unserer volklichen Eigenart ist, wie eben die Anregung und Ausbreitung des Jugendwanderns mit Hilfe der Jugendherbergen […] So wurden die Jugendherbergen nach dem Willen ihrer Gründer im edelsten Wortsinne Heimstätten echter Begegnung der Jugend aller Richtungen und Völker, Mahnmale des Friedens, Inseln der Ordnung und Sauberkeit, der Zucht und Verständigung.«
    Ob die »Graslöwen«-Animateure von heute solche Sätze noch unterschreiben würden? Die Antwort muss mit Radio Eriwan lauten: Im Prinzip ja. Denn verbirgt sich hinter den Wellness-Wattierungen unserer Tage nicht derselbe weltanschauliche Kern? Dass ein pazifistischer Gemeinschaftssinn, der alle Schranken überwindet, in der Natur am kräftigsten sprießt? Dass degenerierte Großstadtkinder, besonders jene aus bildungs- und damit gleichzeitig naturfernen Schichten, wieder ins Freie hinausgeführt werden müssen, lernen müssen, eine Buche von einer Tanne zu unterscheiden, erfahren müssen, dass Erdbeeren nicht in Tiefkühltruhen, sondern an Sträuchern wachsen, und dass echte Erdbeeren »leckerer« schmecken als chemisch hergestelltes Erdbeereis? Natürlich würde keiner der grünen Pädagogen das Wort »Zucht« in den Mund nehmen, um seinen Öko-Drill als das zu bezeichnen, was er ist; würde es nie und nimmer wagen, Kinder und Jugendliche auf Gewaltmärsche mitzunehmen, die als einziges Event Luft-, Licht- und Fußbäder am Waldesbächlein vorsehen. »Abholen« ist zum sanften, »spielerischen« Vorgang geworden.
    Vielleicht hätte Richard Schirrmann das »Solarifahri« samt »Solar-Picknick« für einen Ausbund an Dekadenz gehalten und auf das bewährte Lagerfeuer verwiesen. Vielleicht hätte er den Klimarettungs-Bollerwagen aber auch lebhaft begrüßt. Nur eines ist gewiss: Er hätte ihn selbst gezogen. Bereits 1909 stellte er klar, wer beim Jugendwandern Herr über die Energieversorgung zu sein hat: »Niemand aber darf Zündhölzer besitzen. Das >teure Feuer< behüte ich allein.« Prometheus war kein Wanderführer.
     
    >Abendbrot, Bruder Baum, Freikörperkultur, Gründerzeit, Kindergarten, Mittelgebirge, Ordnungsliebe, Vereinsmeier, Waldeinsamkeit,

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