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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Klettenberg, die eng mit Goethes Mutter befreundet und stets zur Stelle gewesen war, wenn die Leiden den jungen Johann Wolfgang daheim in Frankfurt zu übermannen drohten. Sie pflegte ihn gesund, wenn er an Leib und Seele krank war, gemeinsam betrieben sie okkulte Naturwissenschaften. Sie war diejenige, die bei Goethes Vater durchsetzte, dass sein Sohn die Berufung an den Provinzhof von Weimar annehmen durfte. Auf diese Weise entkam das tiefgläubige Stiftsfräulein, das nach allem, was man weiß, gleichfalls bis an ihr friedliches Lebensende »Virgo« geblieben sein dürfte, dem Verdikt, eine »Virago«, eine männliche Jungfrau, zu sein.
    Die schöne Seele, die tatsächlich nur in sich - und Gott - ruht, fällt aus dem Rahmen, den auch die Aufklärer dem Weib geschreinert hatten, indem sie mit Joachim Heinrich Campe auf dessen dreifacher Bestimmung »zur beglückenden Gattin, zur bildenden Mutter und zur weisen Vorsteherin des inneren Hauswesens« beharrten. Die Vorstellung, dass frau im Leben einen anderen Mittelpunkt finden könne als Mann, Kinder und Familie, erfüllte die Herren, die ihr eigenes Tun der Frage gewidmet hatten, wie sich das neuzeitliche Individuum aus allen Rollenbanden befreien und stattdessen ganz aus sich selbst heraus entwickeln könne, mit Schrecken.
    Die schöne Seele ist ein frühes Emanzipationsmodell aus dem Geiste gebildeter Frömmigkeit. Auch wenn eine Hildegard von Bingen sich selbst nicht als »schöne Seele« bezeichnet hätte, gehörte die Nonne, die im 12. Jahrhundert ihr Leben dem mystischen Zwiegespräch mit Gott und der Erforschung der Natur gewidmet hatte, dieser Spezies an, die im 19. Jahrhundert als »Blaustrumpf« verspottet werden sollte. Anders als die »Emanzen« späterer Zeiten zerrieb sich die schöne Seele jedoch nicht in den Kämpfen gegen eine bornierte Männerwelt. Selbst wenn sie nicht ins Kloster ging, zog sie sich in eine Art innere Emigration zurück. Ihr ging es vor allem darum, den eigenen Frieden zu finden.
    Freimütig bekennt die schöne Seele Mirabella, dass nicht einmal der Tod des einzigen Mannes, den sie jemals der Mühe wert gehalten hätte, ihm ihre Freiheit aufzuopfern, sie zu erschüttern vermocht habe, sondern dass »der edlere Teil« ihres Selbst ebenso »unumwölkt« geblieben sei wie »der Wohnsitz der seligen Olympier«. Kein einziges ihrer Geschäfte sei durch den Verlust des Geliebten ins Stocken geraten. Auch sonst habe sie sich nie unglücklich gefühlt, weil sie stets spürte, dass sie sich »zu allen Zeiten klar und gleich bleiben konnte«.
    Die antiken Stoiker wären angesichts einer derart ausgeprägten weiblichen Abgeklärtheit vor Neid erblasst. Von Georg Wilhelm Friedrich Hegel hingegen musste sich die schöne Seele als blutleer und schwächlich schelten lassen. In seiner Phänomenologie des Geistes führte der Philosoph sie als einen der Holzwege vor, auf die sich das neuzeitliche Bewusstsein bei seinen Versuchen, sich und die Welt ins richtige Verhältnis zu setzen, verirrt habe: »Es fehlt ihm die Kraft der Entäußerung, die Kraft, sich zum Dinge zu machen und das Sein zu ertragen. Es lebt in der Angst, die Herrlichkeit seines Innern durch Handlung und Dasein zu beflecken; und um die Reinheit seines Herzens zu bewahren, flieht es die Berührung der Wirklichkeit und beharrt in der eigensinnigen Kraftlosigkeit […] - in dieser durchsichtigen Reinheit seiner Momente eine unglückliche sogenannte schöne Seele, verglimmt sie in sich und schwindet als ein gestaltloser Dunst, der sich in Luft auflöst.«
    Andere männliche Zeitgenossen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts gingen mit der schönen Seele deutlich liebevoller um. Sie lobten diese dafür, dass sie sich Harmonie zum obersten Ziel gemacht hatte, und sahen in ihr ein durchaus gelingendes Modell, den Einklang zwischen Geist und Gemüt herzustellen - den Kosmos, den die Aufklärer entzweigerissen hatten, wieder zu flicken. Allerdings bewunderten auch sie nicht, dass das Weib für sich einen Weg zu ruhigem Lebensglück gefunden hatte. Vielmehr beschäftigte sie, was die schöne Seele für andere tun konnte.
    »Eine schöne Seele nennt man es, wenn sich das sittliche Gefühl aller Empfindungen des Menschen endlich bis zu dem Grad versichert hat, dass es dem Affekt die Leitung seines Willens ohne Scheu überlassen darf und nie Gefahr läuft, mit den Entscheidungen desselben im Widerspruch zu stehen.« So pries Friedrich Schiller die weibliche Anmut. »Die schöne Seele

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