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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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»gelehrte Neigungen« entwickelt haben, weil »etwas an ihrer Geschlechtlichkeit nicht in Ordnung« sei, wie Nietzsche an anderer Stelle spekulierte?
    Wenn im »Weib« also immer das Erotische mitschwingt - und es dem einzelnen Mann überlassen bleiben muss, ob er den Umstand, dass es ihn ewig lockt, zum Anlass für Verehrung oder Verachtung macht -, ist das gegengeschlechtliche Pendant zum »Weib« dann wirklich der »Mann«, wie das Grimmsche Wörterbuch meint? Müsste es nicht vielmehr der »Kerl« (bzw. das »Kerl«) sein? Ein Prachtweib verdient schließlich keinen »Prachtmann«, sondern einen Prachtkerl, so wie ein Teufelsweib nur einen echten Teufelskerl haben will.
    Und sind wir Deutschen nun der Welt größte Erotomanen, weil wir für das sinnlich-deftige weibliche Wesen ein eigenes Wort erfunden haben - oder sind wir zumindest des Abendlandes verklemmtes Schlusslicht, weil wir es für nötig halten, die Frau von ihrer Erotik zu reinigen?
    Es bleibt ein Rätsel.
    Im Jahre 1806 erschien im Berliner Unger-Verlag ein anonymer Roman mit dem Titel Bekenntnisse einer schönen Seele - von ihr selbst geschrieben. Darin erzählt eine reife Jungfrau namens Mirabella die Geschichte ihres Lebens. Es ist ein weiblicher Bildungsroman, der die Frage beantwortet, wie es gelingen kann, eine »achtunggebietende Individualität« zu entwickeln und dennoch nicht als verschrobene Eigenbrötlerin zu enden. Die Hofdame Mirabella kennt den gesellschaftlichen Anpassungsdruck und die Gefahr, am Ende isoliert dazustehen: »Sind wir einmal breitgetreten, so mag es immerhin etwas Gutes sein, aller Menschen Freund sein zu können«, schreibt sie, »allein solange wir es noch nicht sind, müssen wir alles, was unseren Charakter ausmacht, als das köstlichste Kleinod bewahren, weil eine kräftig ausgesprochene Individualität zuletzt mehr wert ist, als die ganze Gesellschaft. Ich sollte dies nicht sagen, weil ich ein Weib bin; aber meine Rechtfertigung liegt in dem Stillschweigen, welches die Männer in Beziehung auf diese Wahrheit behaupten.«
    Einer der Stillschweiger, den Mirabella im Sinn gehabt haben dürfte, reagierte prompt: Johann Wolf gang von Goethe. Er selbst hatte mit Wilhelm Meisters Lehrjahre den ersten großen Bildungsroman veröffentlicht, in dessen sechstem Buch sich gleichfalls Bekenntnisse einer schönen Seele finden. Der Schöpfer der namenlosen Stiftsdame, die von der Mutter zu pietistischer Frömmigkeit erzogen, vom Vater naturwissenschaftlich veredelt worden war und die mit ihrer Bildung dennoch hinterm Berg hielt, weil sie wusste, dass man »für unhöflich hielt, so viel unwissende Männer beschämen zu lassen«, warf in einer Rezension dem anonymen Autor der anderen »Bekenntnisse« vor: »Wir hätten aber doch dieses Werk lieber Bekenntnisse einer Amazone« überschrieben, teils um nicht an eine frühere Schrift zu erinnern, teils weil diese Benennung charakteristischer wäre. Denn es zeigt sich uns hier wirklich eine Männin, ein Mädchen, wie es ein Mann gedacht hat. Und wie jene aus dem Haupte des Zeus entsprungene Athene eine strenge Erzjungfrau war und blieb, so zeigt sich auch in dieser Hirngeburt eines verständigen Mannes ein strenges, obgleich nicht ungefälliges Wesen, eine Jungfrau, eine Virago im besten Sinne, die wir schätzen und ehren, ohne eben von ihr angezogen zu werden.«
    Was Goethe nicht ahnte: Die spätere Literaturwissenschaft gelangte zu der Erkenntnis, dass jenes als zu männlich gescholtene Werk aller Wahrscheinlichkeit nach aus der Feder einer Frau stammt. Als Autorin wird heute Friederike Helene Unger angenommen - die Frau des Verlegers, die nicht nur ihren Mann bei der editorischen Arbeit unterstützte, sondern selbst Schriftstellerin war.
    Mit diesem Wissen ist es doppelt aufschlussreich zu lesen, dass Goethe in seiner Rezension meinte, die Hauptfrage jenes Buches, wie »ein Frauenzimmer seinen Charakter, seine Individualität gegen die Umstände, gegen die Umgebung retten« kann, würde hier durch eine »Männin« beantwortet, während »eine geist- und gefühlvolle Frau sie durch ein Weib« ganz anders hätte beantworten lassen. Konkret störte den Dichter an Mirabella, dass sie weder »Tochter noch Schwester, noch Geliebte, noch Gattin, noch Mutter« sei und man deshalb »in ihr weder die Hausfrau noch die Schwiegermutter, noch die Großmutter voraussehen« könne.
    Was der Dichter in seiner Rezension verschwieg: Auch »seine« schöne Seele hatte ein reales Vorbild: Susanne von

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