Die deutsche Seele
Schauspieler, der Gott weiß welche Qualitäten besitzen mochte - am Berg hat er sich jedenfalls angestellt wie ein Ochs. Gut, dass er den wenigstens los ist. Aber ob es wirklich klug war, die Hauptrolle stattdessen diesem Grödener Bergführer und Spaghettikoch anzuvertrauen?
Der Kerl brüllt immer noch. »I loss mi net schminken! Die Berge san ja a net g’schminkt!«
Gegen seinen Willen muss Dr. Fanck lächeln. Eigentlich hat der verrückte Hund recht. Und dieser Kopf! Ein Charaktermonument. Wie die Augen blitzen, wenn der sich aufregt! Die Frauen werden reihenweise in Ohnmacht fallen. Es ist schon richtig, ihn vor die Kamera zu holen, diesen - wie heißt er gleich wieder? - diesen Trenker.
Das Gipfel-Trio des deutschen Bergfilms hat sich gefunden. Da steht es in leuchtenden Buchstaben: Der heilige Berg. Eine dramatische Dichtung in Bildern aus der Natur. Regie und Manuskript: Dr. Arnold Fanck. Hauptdarsteller: Leni Riefenstahl. Luis Trenker. Vorausgegangen ist eine aberwitzige Geschichte. Leni Riefenstahl ist mit ihrem kaputten Knie in die Dolomiten gefahren. Eine der vielen Hauruck-Entscheidungen, die sie in ihrem Leben noch treffen wird. Bei einem Filmabend im Hotel macht sie sich an Trenker heran. Sie erklärt: »Im nächsten Film spiele ich mit.« Der Südtiroler lacht über das wilde Mädel aus Preußen. Ihr Foto steckt er dennoch ein und schickt es an Fanck. Fanck reist von Freiburg nach Berlin, der Bergregisseur und die Tänzerin trinken zusammen einen Kaffee. Jahrzehnte später wird Leni Riefenstahl notieren: »In mir tobte es wie in einem Vulkan.«
Am nächsten Morgen legt sie sich auf den OP-Tisch. Das Knie muss wieder in Ordnung gebracht werden, und zwar schnell. Wie soll sie sonst Skifahren und Klettern lernen? Tanzen muss sie auch wieder. Drei Tage nach der Operation betritt ein übernächtigter Fanck das Krankenhauszimmer. Feierlich überreicht er das Manuskript, das er sich von der Seele und Leni Riefenstahl auf den Leib geschrieben hat: Der heilige Berg … Ob sie nicht…?
Leni Riefenstahl nimmt sofort an. Der Rest jedoch: Missverständnis. Schauspielerin ja. Gespielin nein. Fanck meint, der Trenker sei schuld. Riefenstahl dementiert. Trenker dementiert. Der Verdacht bleibt.
Bei den Dreharbeiten springt der Regisseur in einen Gebirgsfluss, die Tänzerin-Schauspielerin geht mit Flaschen auf ihn los, der Bergführer-Spaghettikoch-Schauspieler, der eigentlich Architekt werden wollte, hält alle für »narrisch«.
Während das Beziehungswirrwarr im richtigen Leben dem Drehbuch der Operette folgt, schwingt es sich auf der Leinwand zur großen Oper auf. Diotima, die Tänzerin, die wie die griechische Liebesgöttin Aphrodite dem Meer entsprungen scheint, reist zum Gastspiel in die Alpen. Zwei Bergfreunde sehen sie auf der Bühne des Grand-Hotels tanzen - und verlieben sich beide in sie. Diotimas Zuneigung zu dem jungen Vigo - gespielt von einem Neffen Fancks - erschöpft sich im Neckisch-Schwesterlichen, der reifere »Freund« - gespielt von Luis Trenker - setzt ihr Herz jedoch in Flammen. Die beiden träumen schon von der Verlobung hoch droben, auf dem »schönsten Berg«, da muss Trenker mitansehen, wie seine Diotima einem Mann über den Kopf streichelt, der vor ihr kniet, das Gesicht in ihrem Schoß vergraben. Außer sich stürmt er ins Gebirge, treibt seinen jungen Bergkameraden mit in die gefährliche Nordwand hinein. Es wird Nacht, aus den Tälern kocht ein Unwetter herauf, Lawinen stürzen den Bergsteigern entgegen. Vigo will umkehren, doch Trenker fragt nur: »Hast was, woran du hängst, drunten bei dem Menschengesindel?« Da erst begreift er, dass der gestreichelte Kopf, der ihn um den Verstand gebracht hat, niemand anderem gehört als Vigo. Drohend baut er sich vor ihm auf, der Junge weicht einen Schritt zurück - und tritt ins Leere. Die ganze Nacht hält Trenker den im Nichts Baumelnden am Seil, durch Sturm und Schnee hindurch, selbst dann noch, als er längst wissen muss, dass der andere erfroren ist. Im Morgengrauen sieht er Bilder von einem Eisdom vorüberziehen, in dem seine Diotima mit ihm zum Altar schreitet. Selbst halb erfroren, erhebt er sich vom schmalen Felsband, auf dem er ausgeharrt hat - und folgt dem Kameraden in den Abgrund.
Der Film wird ein Erfolg. Ganz im Gegensatz zu Metropolis, der keinen Monat später im selben Berliner Filmpalast seine Uraufführung erlebt. Während der andere Regisseur, Fritz Lang, den Zuschauer auf die Reise durch gigantischfuturistische
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