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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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losgezogen sind, nur 19 lebend zurückkehren. Doch dann kommt Fanck, erklärt: »Herr Laemmle, ich garantiere, dass ich am zehnten Tag nach meiner Ankunft in Grönland auf dem Eisberg stehe und drehe« - und bricht auf und dreht.
    Es könnte immer so weitergehen: Fanck, der Celluloid-Magier, Riefenstahl, die Outdoor-Diva, auf beide auch unter extremsten äußeren Bedingungen Verlass, Hollywoods Tore stehen offen, doch mittlerweile …
    März 1932.
    Es ist eine Sensation. Ein Bergfilm, der ganz ohne brüllende Lawinen auskommt, märchenhaft anrührend und dennoch große Oper - gedreht von einer Frau, die tragische Hauptrolle gespielt von derselben Frau. Leni Riefenstahl steht auf dem Gipfel ihres Erfolgs, so unschuldig wird sie ihn nie wieder genießen können. Nicht nur das Berliner Publikum, die europäische Filmwelt von Paris bis London liegt ihr zu Füßen, wenige Monate später wird sie auf der Biennale in Venedig die Silbermedaille gewinnen.
    Im Frühjahr 1931 beendet Leni Riefenstahl die Dreharbeiten zu jener Fanckschen Ski-Komödie, in der sie alle naslang in den Schnee purzeln und »au fein!« rufen muss. Die Arbeit mit ihrem Entdecker macht ihr keinen Spaß mehr, unterfordert ihren eigenen künstlerischen Gestaltungswillen, der längst erwacht ist. Was der Fanck kann, kann sie auch - anders, besser.
    Leni Riefenstahl wäre nicht Leni Riefenstahl, wenn sie den einmal gefassten Entschluss nicht direkt in die Tat umsetzen würde. Sie treibt einen - zögerlichen - Geldgeber auf, findet in dem Cineasten Bela Baläzs einen Drehbuchautor, der bessere Dialoge schreiben kann als »au fein!«, sucht sich eine Filmcrew zusammen, die bereit ist, auch für schmälstes Honorar mit ihr zu arbeiten, fährt kreuz und quer durchs Tessin und die Dolomiten, bis sie die perfekten Drehorte gefunden hat, reist unermüdlich weiter, bis sie im entlegenen Sarntal endlich auf jene scharf gezeichneten Dürer-Gesichter stößt, die ihr für die Film-Bauern vorschweben.
    Das blaue Licht - Eine Berglegende kann zu leuchten beginnen … In Vollmondnächten geht von einer Edelsteingrotte weit oben im »Monte Cristallo« ein magischer Schimmer aus. Unzählige junge Männer aus dem Tal sind schon gestorben beim Versuch, die Grotte kletternd zu erreichen. Die Einzige, die nicht abstürzt: das Mädchen Junta, das in einer einsamen Hirtenhütte lebt, weil die Dorfgemeinschaft es als »verfluchte Hexe« verstoßen hat. Ein großstadtmüder Maler nimmt Quartier im Dorf, verliebt sich in die Landschaft und bald auch in das barfüßig-zerlumpte Mädchen, das von den Dörflern mit Stangen und Steinen gehetzt wird. Er zieht zu ihr auf die Alm, doch das Idyll, das ganz ohne Worte (der Maler spricht bloß deutsch, Junta bloß italienisch) und ohne Sex auskommt, währt nur bis zur nächsten Vollmondnacht. Wieder klettert Junta mit schlafwandlerischer Sicherheit hinauf zur Grotte, berauscht sich an den glitzernden Kristallen - ohne jegliche Hintergedanken, aus reiner Freude am Schönen. Der Maler aber ist ihr heimlich gefolgt. Und woran alle Burschen aus dem Dorf scheitern: Ihm gelingt es. Er betritt als erster Mann die Grotte, Junta fährt mit einem Schrei herum, das Unglück nimmt seinen Lauf. Der Maler will nicht begreifen, dass Junta nicht begreifen will, welch großen Reichtum diese Edelsteine für das Dorf und für sie selbst bedeuten könnten - Ende der Armut, Ende der gefährlichen Kraxeleien.
    Während Junta unruhig im Gebirge umherstreift, erklärt der Maler den Dörflern, auf welcher Route sich die Grotte erklettern lässt. Sie rücken an mit Leitern, Körben, grobem Brechwerkzeug. Zum ersten Mal im Film bedeckt sich der Himmel, Nebel und dunkle Wolken ziehen herauf. Junta ahnt, dass Schreckliches passiert sein muss. Angsterfüllt klettert sie abermals zur Grotte hinauf und sieht, dass ihr Heiligtum geschändet, zur Gänze ausgeraubt ist. Taumelnd macht sie sich an den Abstieg - und stürzt in die Tiefe.
    Der Maler, der sie sucht, um ihr die frohe Botschaft zu überbringen, dass sie im Dorf jetzt als große Wohltäterin verehrt wird, findet ihren zerschmetterten Körper am Fuße des Berges, der nie wieder als »Monte Cristallo« in Vollmondnächten leuchten wird …
    Ein echter Bergfilm - und doch ist hier fast alles auf den Kopf gestellt. Riefenstahls Lehrmeister kennt vor allem ragende Fels- und Eistürme; sie selbst lässt ihre Protagonisten zwar auch klettern, doch nur, um in die heilige Grotte hineinzugelangen. (Der Psychoanalytiker mag

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