Die deutsche Seele
Studiobauten schickt und dabei alle Trickregister des expressionistischen Kinos zieht, verkündet Fanck im Vorspann: »Die in dem Film Der heilige Berg mitwirkenden bekannten Sportsleute bitten das Publikum, ihre Leistungen nicht für photographische Tricks zu halten, für die sie sich nicht hergeben würden. Sämtliche Freiaufnahmen wurden wirklich in den Bergen, und zwar in den schönsten Gegenden der Alpen, in iVi-jähriger Arbeit gemacht.«
Liest man die zeitgenössischen Kritiken, scheint es in der Tat das grandios inszenierte Naturschauspiel, die »authentische Kulisse« zu sein, welche das urbane Publikum fesselt. Die pathetische Handlung löst eher Spott und Befremden aus. War die schmerzliche Mühe des Dr. Fanck, fürderhin Bergfilme mit Handlung zu drehen, für die Katz’?
Die Bilder von Wolken, Gipfeln und Schneestürmen wären weniger wirkungsvoll, würden sie selbstgenügsam vorüberflimmern ohne den Menschen, der in ihnen ums Überleben ringt. Im Kern erzählt Der heilige Berg, was alle nachfolgenden Alpindramen erzählen: Die Bergwelt hält der menschlichen Seele den vergrößernden Spiegel vor. Gerät die Seele aus dem Gleichgewicht, braucht sie sich nicht zu wundern, wenn sich auch die Natur aufbäumt.
Jeder Leinwand-Bergheld lebt zunächst in respektvoller Harmonie mit dem Gebirge, er nähert sich ihm ohne Furcht, aber auch ohne Größenwahn: Mut und Demut. Die Frage aller Bergfilm-Fragen (zumeist wird sie ebenso besorgten wie bornierten Verlobten bzw. Müttern in den Mund gelegt): »Was suchst du denn immer da oben?«, beantwortet der Held mit störrischem Schweigen. Allenfalls lässt er sich ein »mich selbst« entlocken. Glückliche Gipfelbezwingung kann nur gelingen, wenn sie reiner Selbstzweck ist. Für sein alpinistisches l’art pour l’art zahlt der Bergheld den Preis der Einsamkeit. Das Gros der Menschen versteht ihn nicht, unten im Tal gilt er als Nichtsnutz und Narr. Mit der kitschigen Verklärung des Bergdorfs als idealer Gemeinschaft im Gegensatz zur zersplitterten Großstadtgesellschaft hat der echte Bergfilm nichts zu schaffen. Sie ist Sache des Heimatfilms, der den Bergfilm in postheroischen Zeiten unrühmlich ablösen wird.
Nur ein Kamerad, den es selbst ebenso kompromisslos hinaufzieht, vermag den einsamen Berghelden zu verstehen. Kameradschaft ist der höchste, um nicht zu sagen, einzige zwischenmenschliche Wert, den der Bergfilm kennt. Das rückt ihn in die Nähe zum Kriegsfilm - zum »präfaschistischen« Vehikel macht es ihn noch nicht.
Die Katastrophe bahnt sich an, sobald ein Riss durch die männliche Seelen-Seilschaft geht. Der Riss kann verschiedene Ursachen haben: falscher Ehrgeiz, Rivalität um den Gipfelsieg. Am schlimmsten jedoch, und das erzählt Der heilige Berg: Rivalität um eine Frau.
Doch in dem Maße, in dem sich Arnold Fanck vom riefenstählernen Liebesschmerz erholt, schreibt er ihr Rollen, in denen das Weib nicht Keim des Verderbens ist, sondern selbst zur Bergkameradin aufsteigt. Im folgenden Film Der große Sprung, dem letzten, den Fanck/Riefenstahl/Trenker zu dritt realisieren, ist aus der Dreiecks-Tragödie bereits eine Dreiecks-Komödie geworden. In Die weiße Hölle vom Piz Palü, die Fanck zusammen mit dem Stummfilmregisseur G.W. Pabst dreht, kreisen zwar auch zwei Männer um Leni Riefenstahl, muss auch hier der charismatische »Alleingänger« am Schluss sterben - aber ihm, der vor vielen Jahren den Bergtod seiner jungen Ehefrau mitverschuldet hat, ist ohnehin nicht mehr zu helfen. Er opfert sich, damit zumindest jenes frisch vermählte Paar, mit dem er jetzt in einen Schneesturm geraten ist, überlebt. Leni, die wacker um ihren jungen Ehegatten kämpft, der den halben Film über bewusstlos an eine Eissäule über dem Abgrund gebunden steht, nimmt das Opfer dankend an.
Drei weitere Filme Fanck/Riefenstahl folgen, mal lässt der Regisseur seine Hauptdarstellerin als Astronomin treu Funkkontakt zum Geliebten halten, der in seiner Wetterwarte auf dem stürmenden Mont Blanc eingeschlossen ist, mal lässt er sie das tollpatschige Skihaserl geben. Zum Ausgleich darf sie als Kajak-Amazone in schmucker Robbenfelljacke mit nach Grönland, auf die gefährliche Expedition SOS Eisberg, ein Filmprojekt, das sich Hollywoods schwäbischer Tycoon Carl Laemmle eigentlich schon abgeschminkt hatte. Der erste Versuch, im Polarmeer zwischen Eisbergen und Eisbären einen Spielfilm zu produzieren, endet damit, dass von den 120 amerikanischen Filmleuten, die
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