Die deutsche Seele
Status dennoch auf den der prominenten Unperson. Als Sechzigjährige sucht sie Zuflucht bei den Nuba, lebt monatelang allein mit ihrer Kamera bei dem zu dieser Zeit von der Zivilisation noch völlig abgeschnittenen Stamm im Sudan, als über Siebzigjährige macht sie den Tauchschein, um Stachelrochen und Korallengärten zu fotografieren. Erst zu ihrem hundertsten Geburtstag im August 2002 beginnt die deutsche Öffentlichkeit, das Werk ihrer wichtigsten Filmregisseurin vorsichtig (wieder) zu entdecken. Leni Riefenstahl stirbt im September 2003.
Der Einzige des ehemaligen Bergfilm-Trios, der die historischen Brüche und Irrungen unbeschadet übersteht, ist Luis Trenker. Von 1928 an, jenem Jahr, in dem er sich mit Fanck ein für alle Mal überwirft und beschließt, sein eigener Regisseur zu werden, bis in die frühen sechziger Jahre hinein dreht und spielt er einen Film nach dem anderen, allein 24 Spielfilme werden es insgesamt, hinzu kommen etliche Dokumentarfilme. Seine Bücher erreichen Millionenauflage, nach 1959 macht er als daueraufgekratzter Berggeschichtenerzähler im jungen Medium Fernsehen Karriere.
Hat Trenker sich die Hände weniger schmutzig gemacht als Fanck und Riefenstahl?
Was den Verstrickungsgrad mit dem Verbrecherregime in Berlin angeht, steht der Südtiroler, der sich je nach machtpolitischer Wetterlage mal darauf beruft, Deutscher bzw. Österreicher zu sein, mal den Italienern nahezustehen, Fanck und Riefenstahl in nichts nach. Wie Fanck begeht auch er aus Sorge um künftige Arbeitsmöglichkeiten die ebenso erbärmliche wie unnütze Dummheit, 1940 doch noch in die NSDAP einzutreten. (Leni Riefenstahl kann zwar von sich sagen, nie der Partei beigetreten zu sein - andererseits war es für die Nazis umso wirkungsvoller, behaupten zu können, dass mit dem »Fräulein Riefenstahl« eine unabhängige Künstlerin für sie arbeitete.) Im Übrigen kollaboriert Trenker, nachdem er bei den deutschen Faschisten in Ungnade gefallen war, munter mit den italienischen, was sich für seine weitere Karriere als hilfreich erweist. Kurz vor der Machtergreifung schreibt Joseph Goebbels in sein Tagebuch: »Abends Film. Luis Trenker Der Rebell. Die Spitzenleistung. Ein nationalistischer Aufbruch. Ganz große Massenszenen. […] Hitler ist Feuer und Fett.« Als Trenker in der Frage, ob Südtirol italienisch bleiben oder ins Deutsche Reich abwandern soll, herumlaviert und auch noch einen Film (Der Feuerteufel) dreht, in welchem er eine Geschichte aus der Zeit der Kärntner Befreiungskämpfe gegen Napoleon erzählt, die sich durchaus als unfreundlicher Kommentar zu dem aktuellen Schinder Europas betrachten lässt, weichen »Feuer und Fett« Gift und Galle. »Ein Schuft und vaterlandsloser Geselle! Hinhalten und eines Tages erledigen«, notiert Goebbels über Trenker im März 1940. Über das »Frl. Riefenstahl« klagt er 1941, dass sie ihm »Sorge mit ihrem Tiefland-Film« mache - »eine hysterische Person, die jeden Tag etwas Neues hat«.
Diese Tagebucheinträge des markigen Schwätzers taugen nicht, um aus den Bergnlmern heimliche Widerstandskämpfer zu machen, als welche sie sich nach 1945 hin und wieder zu stilisieren versuchen. Es ist jedoch aufschlussreich, dass die einstigen Aushängeschilder nicht mehr recht brauchbar erscheinen, wenn es darum geht, in Kriegszeiten die Heimatfront auf Zack zu bringen oder harmlos zu bespaßen. Wichtiger werden jetzt Regisseure wie Veit Harlan, der bereit ist, den antisemitischen Hetzstreifen Jud Süß zu drehen, oder Schauspieler wie Heinz Rühmann, dessen Feuerzangenbowle das deutsche Gemüt vom realen Grauen ablenken soll.
In Der Berg ruft, seinem bis heute berühmtesten Film aus dem Jahre 1937, lässt Luis Trenker die Dorfgemeinschaft den Berg-Helden - d. h. sich selbst - als »Lump« und »Landesverräter« beschimpfen, als dieser verkündet, das Matterhorn nicht zum Ruhme des italienischen Vaterlandes, sondern gemeinsam mit seinem Kameraden, dem Briten Edward Whymper, erstbesteigen zu wollen. Es gibt keinen Zweifel, auf wessen Seite Trenkers Sympathien in diesem Film liegen. Auch Der Berg ruft verklärt Kameradschaft zum höchsten Wert - Untertanengeist und Gehorsam verachtet er. Nationalchauvinismus bringt die Seele des Gipfelstürmers noch mehr aus dem Tritt als die Verlockungen des Weibes. Mit echten Bergfilm-Helden lässt sich kein Staat machen, schon gar kein totalitärer. Deshalb ist es unangemessen, dieses Genre, das wie kein zweites (außer dem amerikanischen Western)
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