Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
Vom Netzwerk:
durch seine wiederholte Absentierung am Nierentisch und der angeblichen Bemerkung aus dem wahren Leben, »Heinrich, mir graut’s vor dir!«, die ausgerechnet der Schauspielerin Ruth Leuwerik zugeschrieben wird, der Faust ohne größere Umstände wieder die Bühne. Die Regie führt seither das Wort.
     
    >Fachwerkhaus, Forschungsreise, German Angst, Gründerzeit, Musik, Mystik

Eisenbahn
     
    Sieht man sich frühe Darstellungen von Zugfahrten aus dem 19. Jahrhundert an, so fällt einem bald auf, dass die Bahnwagen sehr klein gemalt sind, und die Personen darauf ungewöhnlich groß wirken. Man kann den Eindruck haben, es handle sich um richtige Menschen, die mit einer Modelleisenbahn fahren. Was war zuerst, die Eisenbahn oder die Modelleisenbahn?
    Es ist die Eisenbahn, versichert man uns von allen Seiten, halb im Scherz und halb im Ernst, als gelte es plötzlich, die Tatsachen gegen etwas zu verteidigen, das zwar keine unmittelbare Gefahr ausmacht, aber doch für Verunsicherung sorgen könnte. Gerade in einer Zeit wie der unsrigen, die alles außer Kraft zu setzen versteht, den gesunden Menschenverstand und das untrügliche Gefühl, so dass selbst das Spielerische schon von der Insolvenz betroffen ist.
    Die Grundidee der Modelleisenbahn ist der Nachbau, und zwar in lebensnaher Form. Am Anfang war zwar die Eisenbahn, doch die Modelleisenbahn ist ihrem Vorbild weit voraus.
    Während die echte Eisenbahn ständig an ihre Grenzen stößt, trifft die Modelleisenbahn bloß auf die Grenzen der Phantasie ihres Betreibers. Wo es bei der Eisenbahn zum Eisenbahnunglück kommt, gibt es bei der Modelleisenbahn höchstens einmal einen kleinen Zwischenfall. Im Ergebnis neigt die Eisenbahn zum Spektakulären und damit auch zum spektakulären Scheitern, während die Modelleisenbahn zum unauffälligen Accessoire des Heimes wird.
    Mit der Eisenbahn wächst die Technik dem Menschen zum ersten Mal sichtbar über den Kopf. Schon die Dampflokomotive wird als Monster betrachtet. Adelbert von Chamisso spricht in seinem Eisenbahn-Gedicht von 1830 vom »Dampfroß«. Fürst Hermann von Pückler-Muskau nennt sie ein »Ungetüm«.
    Die Eisenbahn wird zum wichtigsten Kommunikationsmittel des frühen Industriezeitalters und zum Hauptinvestionsobjekt des Nationalstaats, der sich mit seiner Infrastruktur identifiziert. Das Spektakuläre der Eisenbahn hat diese zum festen Bestandteil der staatlichen Selbstdarstellung gemacht. Zum Nationalstolz gehört auch der Stolz auf das Beherrschen von Logistik. So wird jedes Versagen der Eisenbahn in der Öffentlichkeit bis heute ungeduldig kommentiert. Dabei hat die Bahn die Macht, die sie einst besaß, schon lange eingebüßt.
     
    Sie ist bei Weitem nicht mehr der einzige Logistikträger Deutschlands.
    Vorbei sind die Zeiten, als man noch einen Lenin, nachdem man ihn in seinem Züricher Cafe aufgestöbert hatte, im versiegelten Zugwaggon durch Deutschland fuhr, um ihn im Auftrag eines verzweifelten Generalstabs im Petersburger Aufstand, der Oktoberrevolution von 1917, in Stellung zu bringen. Die Stabsoffiziere glaubten wohl wirklich, sie könnten mit einem Salonwagentrick den Ausgang des Weltkriegs doch noch zu ihren Gunsten beeinflussen. So wurde die Reichsbahn zur Geburtshelferin des Bolschewismus, die einschlägige Episode aber hat das Zeug zu einem Schildbürgerstreich.
    Selbst die Transporte in die Nazi-Vernichtungslager, die ohne eine perfekt funktionierende Bahn gar nicht möglich gewesen wären, sind Geschichte, und auch der Kalte Krieg, in dem sich die beiden deutschen Staaten die Reichshinterlassenschaft teilten und die DDR sich des Markenzeichens Reichsbahn annahm, ist beinahe schon vergessen.
    Bei der Bahn hat sich seit ihrer ganz großen Zeit in den letzten Jahrzehnten des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts so manches verändert, und es ist trotzdem technisch nicht allzu viel passiert. Mehr, als mit dem Wort »vom rollenden Flügelrade« zum Ausdruck kommt, ist eigentlich nicht zu formulieren. Die Formel aber stammt bereits aus den 1882 erschienenen Memoiren des Eisenbahn-Schriftstellers Max Maria von Weber, einem Sohn des Komponisten Carl Maria von Weber. Er gab in zahlreichen Büchern dem Bahnwesen ein eigenes Sprachgehäuse.
    Die zentralen technischen Begriffe der Zeit aber werden immer öfter zu Bildern, die das Lebensgefühl vermitteln. Die Bahn ist das Transportmittel der Gründerzeit und der Metaphernzulieferer der Jahrhundertwende von 1900. Sie holte das Licht der Kathedrale

Weitere Kostenlose Bücher