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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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deutschen Vorstellungen wäre die Unpünktlichkeit eine Sekundäruntugend.
    Nachrichten sind Regionalnachrichten. Sie waren es immer schon. Sie handeln vom Naheliegenden und manchmal auch von der großen weiten Welt.
    Und dann kommt plötzlich die Frage auf, wem jetzt, nachdem der Bahnhof verkauft worden ist und das Gebäude sich in privater Hand befindet, der Bahnhofsvorplatz gehöre. In wessen Zuständigkeit fällt dieser nun, sobald der Bahnhof kein Bahnhof mehr ist? Muss der Bahnhofsvorplatz dann als solcher weiter erhalten werden oder ließe auch er sich gegebenenfalls umwidmen?
    Die Bahn gibt es in Deutschland seit 1835. Im Grunde ist es der Nahverkehr, den es seither gibt. Von Nürnberg nach Fürth ging die erste Strecke. Genau genommen kam das Gleis als Nebengleis zu den Deutschen. Als wäre es von Anfang an ein Ausflugszug gewesen, ein Tanzzug, etwas, was man sich leistet.
    Zum Vergleich: Die erste Strecke in England führte von Manchester nach Liverpool. Selbst die Beatles nahmen dort den Zug. Den Zug von Fürth nach Nürnberg zu nehmen, um nach Nürnberg zu gelangen, oder den Zug von Nürnberg nach Fürth zu nehmen, um nach Fürth zu gelangen, ist dagegen unerheblich.
    Wir wollen aber nicht den Eindruck erwecken, es gehe hier um Nürnberg oder gar um Fürth, weshalb wir noch auf ein zweites Beispiel zu sprechen kommen: Leipzig und Dresden. Diese Strecke, so heißt es, sei wohl die gesamte Familie des Kapellmeisters und Komponisten Richard Wagner gefahren. Man eilte zur Premiere seines Rienzi von Leipzig nach Dresden. Das war die Reise wert. So ein Zug war zwar nicht schnell, aber er war schneller als die Droschke. Die Bahn war nie schnell, sie war immer nur schneller als die Konkurrenz. Schneller als das Schiff und, später, als das Auto.
    Die Idee der Schnelligkeit fassten die Werbestrategen in den 1990cm mit dem Satz zusammen: Halb so schnell wie das Flugzeug, doppelt so schnell wie das Auto. Damit, so die Kritiker, habe die Bahn »abgehoben«. Den klassischen Zug, der immer auch Panoramazug war, erklärte man verächtlich zum Bummelzug. So gab es nur noch Abfahrtszeiten und Ankunftszeiten.
    Davon ist auch der klassische Nahverkehr betroffen. Dieser Nahverkehr wird in seinem Hauptanliegen, der Pünktlichkeit, von den Fernzügen regelrecht behindert. Sie haben, was der Nutzer des Nahverkehrs nicht versteht, und zu Recht auch nicht verstehen wird, den Vorrang. Wer aber wird schon von Ludwigsburg nach Potsdam reisen, ohne in Stuttgart das Flugzeug nach Berlin zu nehmen? Da hilft es auch wenig, dass der Großraumwagen eines ICE sich kaum von einer Lufthansamaschine unterscheidet. Und es nützt auch nichts, dass in Göttingen der Brezelverkäufer zu- und in Hildesheim wieder aussteigt.
    Heute hat jeder ICE seinen Namen wie das Flugzeug, aber merkt sich jemand den Namen des Zuges oder des Flugzeugs, in dem er sitzt? Wird er sagen, ich bin heute mit dem »Claus Graf Stauffenberg« von Bonn nach Berlin gereist? Oder ich nehme morgen den »Maria Sibylla Merian« von Stuttgart nach Hamburg?
    Deutschland hat keine Bahnstrecke, die von sich reden machte, wie die norwegische Bergenbahn oder die Semmeringbahn in Österreich, es sei denn, man hält den Hindenburgdamm zwischen Sylt und dem Festland für spektakulär. Und es hat auch keine berühmten Züge wie den Orient-Express, den Royal Scotsman oder den südafrikanischen Blue Train, sieht man mal vom »Fliegenden Hamburger« der 1930er Jahre ab. Er fuhr in Rekordzeit zwischen Berlin und Hamburg und gilt als der erste Schnelltriebwagenzug. Die auf Dieselmotoren beruhende Schnelltriebwagentechnik ist eine deutsche Erfindung.
    Sie half den Traum von der Geschwindigkeit zu beschleunigen, schaffte das Monster Lokomotive ab und beförderte allein schon mit der aerodynamischen Form den Vergleich mit dem Flugzeug. Am Ende wäre es ein Flugzeug, das auf der Schiene bleibt. Es wäre der Transrapid, die Magnetschwebebahn, eine der jüngeren kühnen Technikideen, mit der sich die Realität bisher nicht anfreunden konnte. Man arbeitet jahrzehntelang am Projekt »Transrapid«, um ihn dann aus Verlegenheit als S-Bahn von München zum Flughafen fahren zu lassen, und als auch daraus nichts wird, verschifft man ihn nach Shanghai. Ist der Transrapid an mangelnder Praktikabilität gescheitert oder an den Kriterien des Praktikablen in einer Zeit des Kleingeistes, in der nicht einmal ein Bahnhof in Stuttgart abgerissen werden kann, ohne dass es dabei zu Tumulten kommt? Man sollte die

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