Die deutsche Seele
beruhte auf der Erfindung und ihrer Anwendung. Patentierung, Normierung, Standardisierung und Serienproduktion bildeten den Rahmen des aufkommenden modernen Wirtschaftens. Der kurze Weg von der Phantasie zur Realität, den man damit einschlug, bedurfte nur noch des Kredits. Das Kaiserreich schuf die Voraussetzungen zum Höhenflug in kürzester Zeit. Man konnte denken, Gott habe mit den Fingern geschnippt, oder auch nur nüchtern feststellen, dass Finanzleute in Frankfurt erfolgreich die Gründung der Deutschen Bank betrieben. Trotz aller Krise! Einer der Gründungsdirektoren war 1870 Georg Siemens, ein Neffe zweiten Grades von Werner von Siemens.
Man kann vieles erfinden, Nützliches und weniger Nützliches, auch Überflüssiges. Einen Spazierstock etwa, mit Taschenlampe, Feuerzeug und Zigarrenabschneider. Man kann mit einer Erfindung durchstarten oder auf völliges Unverständnis stoßen. Das alles hat jeweils mehr mit dem Zeitgeist zu tun als mit realen Bedürfnissen. Im 19. Jahrhundert war der Zeitgeist der Technik zugewandt. Ein Glücksfall.
Die deutschen Erfindungen wurden zum Antrieb der wichtigsten Industriezweige der Zeit: Maschinenbau, Metallwirtschaft, Chemie und Elektrotechnik. Zu den bahnbrechenden Erfindungen gehörten die verschiedenen Motorentypen, die in Deutschland entwickelt wurden. Sie bildeten das Kernstück der kommenden Automobilindustrie. Von Otto bis Diesel. Zwei Generationen waren es in der Regel, die die Großunternehmen aufbauten: Thyssen, Krupp, Mannesmann, Bosch und Siemens, AEG und BASF.
Jedes Zeitalter hat sein bevorzugtes Material. Für die Gründerzeit ist es der Stahl. Krupp wird zum Meister des Stahlgusses. Thyssen liefert zunächst Achsen, Federn und Räder für die Bahn, um später das Stahlblech-Walzen voranzubringen, und Mannesmann verschafft dem Maschinenbau durch die nahtlosen Rohre einen beispiellosen Auftrieb. Dieser begann mit August Borsigs Lokomotiven, die ein rasant wachsendes Schienennetz befuhren. Es war, als setzten sie die gesamte Gesellschaft in Bewegung.
Gleichzeitig entstand das Telegraphennetz der Siemenswerke. In allen Bereichen waren jetzt Ingenieure unterwegs, ein neuer Typus des Wirtschaftsorganisators betrat die Bühne der Gesellschaft: Fritz Henkel, Sohn eines Lehrers, trat 1865 als Lehrling in die Farben- und Lackfabrik der Gebrüder Gessert in Elberfeld ein und diente sich bis zum Prokuristen hoch. Der junge Kaufmann erwarb dort Kenntnisse der Chemie. 1876 ließ er im Aachener Handelsregister die Waschmittelfirma Henkel & Cie eintragen. Seine entscheidende Entdeckung war die Verbindung von Soda und Wasserglas zum ersten Vollwaschmittel. Zum größten Erfolg des Unternehmens wurde das 1907 eingeführte Persil. Es ist immer noch das meistgekaufte Waschmittel in Deutschland.
Einer der vielseitigsten Erfinder und Unternehmer der Gründerzeit war Werner Siemens, der eine Ausbildung als preußischer Artillerieoffizier hatte. Er gründete 1847 zusammen mit dem Mechaniker Johann Georg Halske eine Telegraphenbauanstalt. Daraus entwickelte sich später der Siemens-Konzern. Werner Siemens wurde 1888 für seine Verdienste in den Adelsstand erhoben. Er richtete das Preußische Staatstelegraphennetz ein, das erste dieser Art in Europa. Aufgrund von Beziehungen nach England, die durch Werners Bruder Wilhelm, auch William genannt, der in London lebte, zustande kamen, verlegte man das erste Unterseekabel durch den Ärmelkanal, um später eine wahrhaftig spektakuläre Fernkabelverbindung zwischen London und Indien einzurichten. Werner von Siemens mischte auch in anderen Bereichen als Erfinder und Erneuerer der Technik mit. Die erste netzgetriebene Elektrolok geht auf ihn zurück, und auch der Dynamo.
unteilbares Deutschland: Lanz-Bulldog-Parade in Markkleeberg bei Leipzig, 1983.
Eine Vielzahl deutscher Erfindungen revolutionierte die wichtigsten Bereiche der Industrie. So verändert Maybachs Bienenwabenkühler das Auto. Georg Knorr löste das komplizierte Problem des Zug-Bremsens mit der nach ihm benannten Knorr-Bremse. Heinrich Lanz prägte mit seinen Landwirtschaftsmaschinen die gesamte Agrarwirtschaft. Sein Bulldog wird später zum Traktor schlechthin. Kaum zu glauben, dass in der Firma zeitweise auch Luftschiffe gebaut werden. Bahnbrechend war er aber bei einer anderen Idee. Lanz unterhielt als eines der ersten Unternehmen ein eigenes Ersatzteillager und eine Reparaturwerkstatt. Die 1887 von Emil Rathenau gegründete und später von seinem Sohn Walther geleitete
Weitere Kostenlose Bücher