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Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Großbongardt
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Basketballmütze bekleidet, schließt einen kleinen Raum neben der Toreinfahrt auf und setzt sich an seinen Computer. Im Kaminzimmer bringt die weißblonde »Schlossfee« Wlada Smirnowa, 41, derweil das Feuer in Gang und backt frische Brötchen. Und oben im kleinen Schlossmuseum prüft Künstler Andrej Smirnow Entwürfe neuer Zeichnungen. Hinter dem Schlossteich ist indessen auch das frühere Insterburg erwacht. Bevor die Briten im Sommer 1944 die Stadt an der Reichsstraße Nummer 1 bombardierten, war Insterburg ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt mit knapp 50 000 Einwohnern, Maschinenfabriken, Eisengießereien und einer Flachsspinnerei sowie weitläufigen Kasernen fürs Militär. Im Gegensatz
zu Kaliningrad hat es sich den Charme einer ostpreußischen Stadt bewahrt.
    Die Insterburg wurde im 14. Jahrhundert erbaut, hier sammelte sich der Deutsche Orden zu seinen Litauen-Fahrten. Nach dem Krieg war eine Artillerie-Division in den Resten des Schlosses stationiert, dann zog der städtische Bauhof ein. Und 1997 die Gruppe um Wlada und Alexej – mit dem Plan, die Anlage wieder aufzubauen und aus ihr einen Kulturtreffpunkt zu machen, mit Museum, Theater und Galerie. Es war der erste Schritt in ein großes Abenteuer. »Man hielt uns für verrückt«, sagt Alexej. Der Zusammenbruch der Sowjetunion lag sechs Jahre zurück, aber vieles, was früher undenkbar war, schien plötzlich möglich. Auch im Gebiet von Kaliningrad war der Kapitalismus eingezogen, der Bauhof sollte dem Kulturministerium, dem das Schloss formal gehörte, plötzlich Miete zahlen und zog daraufhin aus. Zurück blieben eine Ruine, für die sich der Staat nicht interessierte, und die Aktivisten um Wlada und Alexej. Ohne Geld, ohne Strom, selbst die Türen hatten Bauleute herausgerissen und mitgenommen. Ein Wiederaufbau des Schlosses, so viel war klar, würde 30 Millionen Euro kosten. »Sie hielten uns für verrückt nicht nur wegen unserer Idee«, sagt Alexej, »sondern weil wir ein deutsches Ordensschloss retten wollten: Es sei peinlich, wenn sich Russen mit dem preußischen Erbe befassen, hieß es. Wir galten als Agenten deutscher Geheimdienste.« In russischen Ohren klang das gar nicht so absurd: Die sowjetische Führung hatte das einstige Ostpreußen fast ein halbes Jahrhundert lang als Keimzelle des deutschen Militarismus gegeißelt und der Bevölkerung, die sie nach 1945 in das Gebiet umsiedelte, die Vorgeschichte der Gegend verschwiegen. Das war einerseits nicht schwer, viele der Ankömmlinge waren Militärs. Die interessierten sich ohnehin nicht fürs alte Ostpreußen, sie
fuhren nach wenigen Jahren wieder weg. Andererseits hatte Moskau nicht bedacht, dass jene, die blieben, wieder und wieder auf Spuren ihrer Vorgänger stießen.
    »Auch in Insterburg besaßen die Leute Dinge, die die Deutschen zurückgelassen hatten, sie benutzten deren Schränke und Stühle, ihre Fahrräder oder Radios«, sagt Alexej. »Sie haben die deutsche Geschichte nicht als eine fremde aufgenommen, sie lebten einfach in ihr. Und das ist bis heute so: Einer der Läden gleich hinterm Schloss heißt bei uns noch immer der ›Gestapo-Laden‹, weil in diesem Haus einst die örtliche Gestapo-Filiale saß.« Alexej, studierter Historiker, gehört wie Wlada, die im früheren Tilsit Choreografie lernte, zu einer Generation, die bereits hier geboren ist und das Land jetzt neu entdeckt, weil sie es als Teil des europäischen Kulturerbes versteht. Nur durch die Aneignung der Geschichte könne es gelingen, sagt Wlada, in Städten wie Tschernjachowsk oder Kaliningrad eine Heimat zu finden.
    Vergangenes gegen den Willen der Staatsmacht wiederzubeleben – dazu braucht es wirklich ein paar Verrückte, Leute wie die Truppe vom Schloss, die sich nicht nur als Russen, sondern ebenso als Ostpreußen verstehen. Sie gründeten eine Stiftung, die von den Behörden zuerst nicht genehmigt wurde, weil sie Stiftung »Schloss Insterburg« hieß, ein viel zu deutscher Name. Jetzt heißt sie »Dom samok«, »Haus Schloss«, was etwas sperrig, aber unverfänglich klingt. 1999 starteten Alexej und seine Freunde auf dem Schlosshof die erste Theatervorstellung, mit Milchkästen als Sitzgelegenheiten. Inzwischen haben sie Verbündete in der Stadtverwaltung und unter Geschäftsleuten gefunden, die bezahlen den Strom, das Internet und übernehmen Kosten für das, was nun im Schloss geschieht. Von Mai bis Oktober gibt es Führungen und Ritterspiele, Kunstfestivals und Sommerschulen zur

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