Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch
kommt vom Band, die Melodie trägt eine Hammondorgel oder ein Akkordeon. Refrain: »Sehnsucht nach Schlesien, du geliebtes Heimatland, im Herzen von Europa, strahlst du Gott an.« Den Song gibt es auch auf Polnisch. Kein Wunder, dass sich nicht mal polnische Nationalisten wirklich mit der deutschen Minderheit angelegt haben.
Die Deutschen neigen nicht zum Separatismus wie die Basken oder Korsen. Sie sind so harmlos, dass sich fast lächerlich macht, wer gegen sie hetzt. Sieben Parlamentsabgeordnete entsandte die deutsche Minderheit 1991 nach Warschau, heute ist es nur noch einer. Ryszard Galla sitzt im Minderheiten-und im Haushaltsausschuss, bei den meisten Fragen stimmt er mit der regierenden konservativ-liberalen Bürgerpartei. Seine Nationalität ist nie Gegenstand der Debatte. Sein Vorgänger Henryk Kroll, eine Art Helmut Kohl der deutschen Minderheit, saß 16 Jahre lang als Streiter für die deutsche Sache im Sejm. Auch im Dachverband der deutschen Minderheit verlor er zusehends an Rückhalt und wurde 2009 in den Ruhestand geschickt. Sein Führungsstil galt als autoritär, und sein Ton war den meisten wohl zu verbissen national.
Nur einmal sind Polens Deutsche seit der Wende laut geworden. 1998 reformierte Warschau das System der Woiwodschaften, der Verwaltungsbezirke. Die Woiwodschaft
Oppeln sollte verschwinden. Die Deutschen setzten sich an die Spitze des Protestes. Das Proskauer Echo lieferte mit dem Song »Hej, lasst uns unser Oppeln« den Soundtrack dazu. Schließlich gab Warschau nach. Eine Mehrheit der »rein polnischen« Oppelner stand in dieser Frage an der Seite der Deutschen. Auf lokaler Ebene hatten diese sich schon damals einen guten Ruf erworben. Seit der Wende steuerte der Bezirk Oppeln zielstrebig auf die EU-Integration zu. Viele Anpassungen in Gesetzen und Verordnungen waren dort schon umgesetzt, als der Rest Polens noch darüber diskutierte.
Heute gilt die Woiwodschaft Oppeln als diejenige, die die Töpfe der Europäischen Union am effektivsten anzapfen und den meisten Nutzen aus den Hilfen ziehen kann. Dazu haben auch deutschstämmige Landräte, Gemeindevorsteher und Lokalpolitiker beigetragen. Sie gelten bei den Polen – ganz dem Klischee entsprechend – als pragmatischer, gründlicher und vorausschauender als man selbst. Deshalb beobachteten Wahlforscher zu ihrer Überraschung, dass bei den letzten Kommunalwahlen im November auch mindestens 6000 Polen für deutsche Kandidaten stimmten. Sicher haben zur Beliebtheit der Minderheit auch die rund 150 Millionen Euro Extrahilfen beigetragen, die Berlin seit der Wende der Minderheit in ganz Polen zufließen ließ. Auch in diesem Jahr wird Berlin wieder an die zwei Millionen zahlen. Die Konsulate verteilten das Geld klug. Statt mitten im postkommunistischen Elend die deutschen Polen zu verwöhnen, legten sie die Millionen in Wasserleitungen, Krankenhäusern, Schulen, Bibliotheken und der Universität an – so haben alle etwas davon.
Deutsche Funktionäre wie Norbert Rasch und Ryszard Galla wollen weiter in dieser Richtung arbeiten. Die Politik der Minderheit soll auch der polnischen Mehrheit nützen.
»Wenn eine ganze Region zweisprachig ist, ist das nicht nur eine hübsche kulturelle Bereicherung, sondern ein echter Standortvorteil«, sagt Rasch. Seine Gesellschaft fordert, noch mehr Ortsschilder, Beschriftungen von Denkmälern und öffentlichen Gebäuden sowie amtliche Papiere auch in die Sprache der Minderheit zu übersetzen. Vor allem wollen die Oppelner Deutschen nicht nur Deutschunterricht, sondern deutschen Unterricht. Reguläre Schulen, in denen alle Fächer auf Deutsch unterrichtet werden, gibt es in Schlesien noch nicht.
Das geht Warschau dann doch zu weit. Lech Kaczyński, Polens in manchem rückwärtsgewandter Präsident, der im April 2010 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, hatte gefordert, dass erst mal die Polen in Deutschland rechtlich bessergestellt werden müssten, bevor man den Deutschen in Polen noch mehr Zugeständnisse machen könne.
In diesem Jahr sollen nun Gespräche am Runden Tisch darüber abgehalten werden. Ryszard Galla, der einzige deutsche Sejm-Abgeordnete, wird daran teilnehmen. Aber er ist sich sicher: »Die Polen in Deutschland würden auch nach polnischem Recht keinen Minderheitenstatus erhalten.« Unklar ist, wer eigentlich zu dieser polnischen Minderheit gezählt werden würde: Spätaussiedler mit deutschem Pass und deutscher Oma? Oder Ruhrpolen, jene polnischen Einwanderer, die zur vorvorletzten
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