Die Diagnose: Thriller (German Edition)
ein Stoß ordentlich gefalteter Kleidungsstücke. Durch das Fenster fiel mein Blick auf Binsen, die an einem Teich wuchsen, der sich auf der Meerseite bis zu der schmalen Straße hin erstreckte. Der Himmel glühte, als die Sonne über dem Wasser verblasste, Lila- und Rottöne vermischten sich mit dem Dunkelblau der Dämmerung. Am liebsten hätte ich mich nie mehr vom Fleck gerührt.
»Ist das dein Goldlöckchen-Bett?«, fragte ich.
»Ganz genau.« Sie strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn.
»Lass uns einfach hierbleiben.«
Irgendwann mussten wir aufstehen, um uns zu waschen und etwas zu essen. Inzwischen war die Nacht hereingebrochen, und Anna nahm ein Bad, während ich in der Küche nach etwas Essbarem suchte. Ich fand Spaghetti und hackte Zwiebeln und Knoblauch als Grundlage für eine Tomatensoße, während ich dem Plätschern aus dem Bad lauschte. In einem Schrank fand ich Kerzen, und ich nahm eine mit ins Bad und stellte sie auf den Rand der Wanne. In der Küche stellte ich Kerzen auf den Tisch und dämpfte das Licht, bis Teller und Gläser im Kerzenschein funkelten. Die Vorhänge zum Haupthaus ließ ich zu, doch am gegenüberliegenden Ende des Zimmers zog ich ein Rollo hoch, um ein Stück Nachthimmel hereinzulassen. Die Sterne blinkten, und ich konnte sogar die Milchstraße erkennen.
Als Anna aus dem Bad kam, trug sie einen Morgenrock aus Seide und hatte sich um ihre Haare ein Handtuch gedreht wie einen Turban. Sie ging an den Herd und probierte die Soße.
»Mhm«, sagte sie. »Du kannst gern einziehen.«
Sie setzte sich, und ich tat die Nudeln in eine Schüssel, trug das Essen auf und schenkte Wein ein. Dann nahm ich ihr gegenüber Platz, und wir aßen genüsslich. Ich wollte gerade nach der Weinflasche greifen, um ihr noch einmal nachzuschenken, da sah ich über ihrer Schulter durch das offene Rollo ein Licht. Es war weit weg, und zuerst dachte ich, der Mond spiegelte sich irgendwo auf einem Haus. Doch als ich beobachtete, wie der Lichtstrahl von einer Seite zur anderen strich, erkannte ich, dass es die Scheinwerfer eines Autos waren, das sich über die Küstenstraße näherte. Anna aß weiter, sie hatte ihm den Rücken zugekehrt, also verfolgte ich sein Näherkommen allein und wartete darauf, dass es in eine Seitenstraße bog und uns in Ruhe ließ. Doch das tat es nicht. Es kam immer weiter auf uns zu, bis es für zehn Sekunden hinter einem Haus verschwand und wieder auftauchte, so nah, dass der Lichtstrahl sich in zwei geteilt hatte. Das Auto kam direkt auf uns zu.
»Anna«, sagte ich.
»Was ist?« Als sie aufschaute, hatte sie ein bisschen Soße am Kinn. Sie sah mein Gesicht und drehte sich um.
Mit Daumen und Zeigefinger drückte ich die Kerzen aus und tauchte den Raum in Dunkelheit, sodass der Fahrer uns nicht sehen konnte. Dann starrten wir benommen und verdutzt aus dem Fenster, am Ende dieser Sackgasse wie in der Falle, weit weg von der Sicherheit der Stadt. Anna stand wortlos auf und ging ans andere Ende des Zimmers, als könnte sie ihm entkommen, wenn sie sich versteckte, während ich wie angewurzelt dasaß und sein Näherkommen verfolgte wie einen Pfeil, dessen Ziel wir waren. Als ich aufstand, holperte der Wagen über eine Unebenheit, und die Scheinwerfer fuhren hoch, schienen ins Zimmer und tauchten mich ins grelle Licht. Ich duckte mich, doch es war zu spät.
Die Scheinwerfer strichen am Fenster vorbei, und jetzt hörten wir das Auto auch, als es am Fuß der schmalen Straße zu den Shapiros zum Stehen kam und der Motor sich im Leerlauf weiterdrehte. Ich nahm Annas Hand, und so standen wir halb nackt im Dunkeln und hielten einander an den Händen. Das Licht drang durch den Spalt in den Vorhängen herein. Dann verblasste es zu einem matten Rot, als der Wagen weiterfuhr und nach links abbog, um die Einfahrt zum Haus der Shapiros hochzufahren. Ich hörte, dass er die Steigung zügig nahm. Das Knirschen des Kieses, der unter den Reifen wegspritzte, ließ vermuten, dass der Fahrer mit dem Hang vertraut war. Mein Auto, dachte ich. Es steht vor dem Haus. Wir gingen in den an die Küche grenzenden Raum auf der Vorderseite des Gästehauses und knieten uns auf ein Sofa, das am Fenster stand. Annas Morgenmantel glitt mit einem seidigen Zischen über ihre Haut.
Ich schob die Vorhänge ein wenig auseinander, damit wir hinausspähen konnten, und ich hörte ihr leises Atmen und spürte ihre Wärme nah an meinem Gesicht. Sie keuchte ein wenig − doch jetzt nicht aus Begehren, sondern aus Angst.
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