Die Diagnose: Thriller (German Edition)
reagiert hatte. Es war ein riesiges Loft über mehrere Ebenen mit weiß angestrichenen Stahlträgern, in dem sich zahlreiche Gäste drängten und sich über hypnotisierender Musik, die ein DJ auf einem MacBook mixte, schreiend unterhielten. Wohin mein Blick auch fiel, überall urbaner Wohlstand, von den Leinwänden mit rostigen Brücken und verlassenen Landschaften an den Wänden bis hin zu den Kellnern in schwarzen Livreen, die Champagner ausschenkten. Ich trat durch die Türen auf eine Terrasse, die einen funkelnden Blick auf nahe Türme und die City Hall in der Ferne bot. Steve stand in einem Pulk Menschen, und ich ging zu ihm rüber.
»Da bist du ja. Ben, das ist Lucia«, sagte er.
Die junge Frau neben ihm lächelte. Sie war hübsch − dunkles, kurz geschnittenes Haar, Mascara und leuchtende Augen. Sie trug ein Seidenkleid, und das Amphetamin in meinem Blut ließ die dünnen Träger über ihren Schultern im Licht funkeln.
»Freut mich sehr, Sie kennenzulernen«, sagte ich und spürte ihre weiche Hand in meiner.
»Ist das nicht eine tolle Wohnung?«
»Absolut phantastisch.«
»Sie gehört Gabriel. Er steht da drüben bei Josh.«
Sie zeigte in eine Ecke der Terrasse, wo zwei Männer sich unterhielten. Der Mann, auf den sie wies, hatte ein rötliches Gesicht, ein flaches Kinn und wachsame Augen. Er schien sich über die ganze Sause zu amüsieren, als wäre er Gast und nicht der Gastgeber.
»Ich gehe mir was zu trinken holen. Soll ich Ihnen was mitbringen?«, fragte ich.
Später, in ihrer Wohnung im East Village, stand ich, nachdem sie eingeschlafen war, an ihrem Schlafzimmerfenster, das auf eine dunkle Gasse hinausging, und starrte auf eine gegenüberliegende Backsteinwand. Es war zwei Uhr, und die Wirkung des Adderall ließ nach und das machte mich unruhig und paranoid. Ich erinnerte mich an meinen Spaziergang am Strand, bei dem Harry mir erzählt hatte, wie er beim Crash alles verloren hatte, und zitterte, denn mit dem Medikament hatte sich auch mein Glaube an ihn verflüchtigt. Er hatte mir versichert, er werde sich nichts antun. Warum sollte ich ihm vertrauen?, dachte ich.
*
Heißes Wasser prasselte auf mich herab, als ich an diesem Sonntagmorgen im Fitnessstudio unter der Dusche stand und versuchte, die Nachricht zu begreifen. Ich hatte gerade im Fernsehen gesehen, was ich befürchtet hatte. Als ich gegangen war, war Harry, wie ich geglaubt hatte, in einem stabilen Zustand gewesen, und jetzt hatte er sich das Leben genommen. Wenn ich meinem Instinkt gefolgt wäre und an meiner Vorstellung von seiner Behandlung festgehalten hätte, statt Duncan nachzugeben, hätte ich ihn retten können. Ich dachte an Nora und die Qualen, die sie ausstand. Nach allem, was sie durchgemacht hatte, um ihn zu retten, hatte Harry sie verlassen. Wie konnte ich ihr je wieder unter die Augen treten?
Nach ein paar Minuten drehte ich das Wasser ab und trat aus der Dusche, um mich anzuziehen. Die Läufer keuchten noch auf den Laufbändern, wie ich vor einer halben Stunde, blind und taub für die Welt da draußen. Ich verließ das Fitnessstudio und sah dieselbe Frühlingsszenerie − die Schachspieler auf dem Gehweg, ein Paar, das mit einem Hund spazieren ging, eine alte Dame, die mit einem Portier sprach −, doch ich hatte jegliche Freude daran verloren.
Zu Hause legte ich mich für eine Minute aufs Bett und dachte über Harrys Tod nach und was er für mich bedeutete. Ich konnte nicht mit Rebecca sprechen, meinen Vater wollte ich in seiner Rekonvaleszenz nicht beunruhigen, und der Gedanke, im Episcopal anzurufen, war mir unerträglich. Dann erinnerte ich mich daran, dass ich Patienten immer riet, sich nicht in ihrem Elend zu suhlen, stand auf und ging eine Weile im Wohnzimmer auf und ab, bis ich zu dem Entschluss kam herauszufinden, was genau passiert war. Felix , dachte ich. Er weiß es bestimmt . Ich holte mein Handy aus meinem Jackett und scrollte die Liste der angenommenen Anrufe der vergangenen Woche durch. Da stand die Handynummer, von der er mich aus angerufen hatte, um den Rückflug in Harrys Jet mit mir auszumachen. Ich drückte auf Wählen und wartete.
»Lustgarten«, sagte eine Stimme ruhig nach dem zweiten Klingeln.
Wäre es jemand anderes gewesen und hätte ich im Hintergrund nicht laute Stimmen gehört, hätte ich gedacht, es wäre die Stimme von jemandem, der einen entspannten Sonntagnachmittag genoss. Für seine Verhältnisse klang er jedoch nervös.
»Felix, hier spricht Ben Cowper.«
»Ah, Dr. Cowper.
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