Die Diagnose: Thriller (German Edition)
wurde an einem Ende von etwas Schwerem nach unten gezogen, und ich tastete nach der Form: ihr Schlüssel zu meiner Wohnung. Bob bedachte mich mit einem missbilligenden Blick, als wüsste er, was das Päckchen bedeutete.
»Sie hat gesagt, sie wäre nicht mehr so oft hier. Tut mir leid, das zu hören.«
»Mir auch«, sagte ich, auch wenn mich seine stumme Verurteilung nervte, denn sie verstärkte meine Schuldgefühle noch. Was war los mit diesen Leuten? Zuerst mein Vater und Jane, und jetzt konnte ich nicht mal das Haus betreten, in dem ich wohnte, ohne dass man mir das Gefühl vermittelte, ich sollte mich schämen. Meine Mutter hätte vermutlich ähnlich reagiert. Bist du dir ganz sicher, Ben? , hätte sie mit tadelndem Unterton gesagt.
In meiner Wohnung legte ich mich aufs Bett, atmete tief durch und öffnete mit dem Daumen Rebeccas Umschlag. Darin war ein Blatt Papier, einmal gefaltet. Der Schlüssel war mit Tesafilm daran festgeklebt.
Ben,
es tut mir leid, dass ich gehen musste. Ich vermisse Dich jetzt schon, aber ich denke, es ist das Beste. Wir sehen uns sicher auf der Arbeit. Ich werde die sein, die aussieht, als hätte sie geweint.
R.
Ich wollte weinen, doch es kam nichts − mein emotionaler Tank war leer. Es wäre leichter gewesen, wenn sie sauer gewesen wäre. Ihre Zuneigung und traurige Würde waren ein Tritt in die Magengrube. Wenn ich sie nicht so gut gekannt hätte, wäre ich leicht auf die Idee gekommen, sie hätte mir damit absichtlich wehtun wollen, doch so war sie nicht.
Ich stand auf und ging eine Weile im Raum auf und ab, doch das trostlose Gefühl wollte nicht weichen. Ich war müde, aber zu Hause bleiben wollte ich auch nicht. Ich fühlte mich einfach mies: weil ich Rebecca so schlecht behandelt hatte, wegen meiner Verstrickungen mit Harry und aus Sorge um meinen Vater und sein Herz. Ich musste mir irgendeine Ablenkung suchen. Also legte ich ihren Brief aufs Bett, ging ins Wohnzimmer und rief einen Freund aus dem Krankenhaus an. Er war ein richtiges Partytier und hatte schon in der ersten Woche unserer Facharztausbildung gewusst, welche Bars angesagt waren und wohin man anschließend ging. Und tatsächlich wollte er später zu einer Party.
»Ein Bekannter von Emma hat uns zu sich nach Tribeca eingeladen. Es heißt, seine Partys sind toll. Er arbeitet an der Wall Street«, sagte er.
»Ich weiß nicht, Steve. Ich glaube nicht, dass ich meinen Samstagabend mit einem Haufen Bankern verbringen will.«
Nach meiner Woche mit Harry und seiner Entourage kam es mir nicht besonders entspannend vor, noch einmal in seine Welt einzutauchen.
»Okay. Du hast also die große Auswahl, was? Deswegen rufst du mich auch um sechs Uhr an. Komm schon, das wird lustig.«
Als die Sonne untergegangen war und die Lichter am Union Square an waren und ein Leuchten über die Hausdächer warfen, ging ich ins Bad. Ich öffnete ein Medizinschränkchen über einem Glas mit Muscheln, die Rebecca in einem gemeinsamen Urlaub auf Cape Cod gesammelt hatte, und kramte zwischen den Lotionen und Deos und hinter der Schachtel mit Ambien herum, das sie manchmal genommen hatte, um schlafen zu können. Endlich fand ich eine Flasche mit orangefarbenen ovalen Pillen: 30-Milligramm-Tabletten Adderall. Ärzte sollten sich nicht selbst etwas verschreiben, besonders kein Amphetamin, das eigentlich der Behandlung von ADS dient, doch ich brauchte etwas, was das Gedankenkarussell in meinem Kopf zum Stillstand brachte.
Als ich ein Taxi in die Innenstadt herbeiwinkte, kribbelte meine Haut, und auf den Handflächen war mir der Schweiß ausgebrochen, während das Amphetamin in mein Blut sickerte und Adrenalin und Dopamin in meinem Hirn freisetzte. Mein Mund war trocken, und ich merkte, wie die Sorgen der letzten Tage von mir abfielen und von einer benommenen Faszination für die Farben und Formen um mich herum abgelöst wurden. Der ganze emotionale Lärm, das brummende Unbehagen verstummte, das unharmonische Stöhnen der Klimaanlage in dem Taxi gerann zu einer angenehmen Harmonie. Als wir den Broadway runterschossen, kurbelte ich das Fenster herunter, und die Lichter strömten vorbei wie ein Kondensstreifen am blauen Himmel.
Ganze fünf Minuten drückte ich vergeblich auf die Klingel an der Metalltür zu dem Gebäude, bevor ein Paar auf dem Weg nach draußen die Treppe runterkam und mich einließ. Als ich in den zehnten Stock gelangte, wo mir das Stimmengewirr aus der Wohnung entgegenschlug, war mir klar, warum niemand auf mein Klingeln
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