Die Diagnose: Thriller (German Edition)
Aliens. Nora hatte man ins Gästehaus gebracht.«
»Wie ging es ihr?«
Anna sah mich misstrauisch an, als wollte sie mich einschätzen.
»Sie sind doch ganz scharf auf Grenzen, nicht wahr?« Sie sprach mit steifem britischem Akzent weiter. »Von wegen Beruf und Vergnügen sollte man getrennt halten, Sie wissen schon. Also, was ist das hier? Vermutlich sollte ich mich überhaupt nicht mit Ihnen unterhalten.«
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte ich neutral.
»Kommen Sie mir jetzt nicht mit Ihrem Therapeutengelaber. Beantworten Sie meine Frage«, sagte sie mit geröteten Wangen.
Ich sah sie so ausdruckslos wie möglich an, denn ich wollte keine akkurate Antwort geben. Es war eine Mischung aus beidem, genau das, wovor ich sie gewarnt hatte. Sie war die Einzige, die mir etwas über die Geheimnisse der Shapiros verraten konnte, die mir vielleicht helfen konnte, meine Karriere zu retten. Doch in diesem Augenblick wollte ich nichts anderes, als die Hand ausstrecken und sie berühren.
»Vergnügen«, log ich.
»Dann lassen Sie uns hier verschwinden.«
Wir spazierten zusammen durch den Central Park, wo die Bäume sich wie Silhouetten vor der hereinbrechenden Dämmerung abhoben, als Anna meine Frage beantwortete.
»Nora geht es gut. Sie ist viel ruhiger, als ich es an ihrer Stelle wäre, wenn mein Mann mein Leben gerade dermaßen auf den Kopf gestellt hätte. Oft ist sie sehr still und kontrolliert, als hielte sie ihre Gefühle in Schach. Manchmal höre ich sie in ihrem Zimmer weinen.«
»Sie haben kein Mitgefühl mit Mr Shapiro?«
»Meinetwegen kann er im Knast verrotten.«
Ihre Stimme hatte einen harten Klang bekommen, und als ich zu ihr rüberschaute, hatte sie eine Hand zur Faust geballt.
»Ganz schön hart.«
»Ja? Männer sind Arschlöcher. Immer musste sich alles um ihn drehen, den großen Finanzguru. Er hat sich nie um andere geschert, nur um sich selbst.«
Wir gingen eine Weile weiter, vorbei an Geröllblöcken, die man zu künstlichen Hügeln aufgeschichtet hatte, und passierten eine Pferdekutsche mit Touristen, die unter fröhlichem Gebimmel durch den Park rollte. Ich pflichtete ihr bei, was Harry anging – er war ein Narzisst –, doch es störte mich, wie sie es ausgedrückt hatte und dass sie alle Männer in eine Schublade steckte. Ich formulierte in Gedanken eine Erwiderung, als sie weitersprach.
»Er hat sie schon vorher betrogen«, sagte sie.
Als sie das sagte, wurde ich ganz starr vor Angst. Das war es, wonach ich gesucht hatte, die Wahrheit, die sie vor mir verborgen hatten, doch in diesem Moment wollte ich sie doch nicht aus ihrem Mund hören – ich wollte nicht, dass Harrys Geheimnis unserer Beziehung im Weg stand. Jemand anderes soll es mir erzählen , dachte ich, doch es war zu spät.
»Was meinen Sie damit?«
»Ja, was denn wohl? Er hatte eine Affäre. Ich habe sie zusammen gesehen. Sie war Bankerin, hatte ein Haus in Sag Harbor. Ich musste sie in seinem Auftrag nach East Hampton fahren, als Nora am Wochenende nicht da war. Er besaß nicht einmal so viel Respekt vor seiner Frau, es als Geheimnis zu hüten. Das hat man daran gesehen, wie er sie anschaute.«
»Sie haben es gesehen ? Ist das alles?« Die Worte kamen heftiger heraus als beabsichtigt – ich war immer noch verärgert, weil sie mein ganzes Geschlecht verdammt hatte.
»Nein, das ist nicht alles , Ben«, sagte sie scharf. Es war das erste Mal, dass sie mich beim Namen nannte. »Da war noch was. Sie kannte das Haus. Als wir reingingen, wusste sie genau, wohin sie sich wenden musste. Und ich hätte schwören können, dass sie einen Schlüssel hatte. Als wir zur Tür kamen, griff sie in ihre Handtasche, als wollte sie was rausholen, doch dann hielt sie inne, als wäre ihr gerade eingefallen, dass ich ja auch noch da war.«
Ich hörte sie im Dunkeln schlucken und erkannte, dass sie sehr bestürzt war. Ihre heftigen Gefühle hatten noch einen anderen Grund als nur den Mord. Es war fast, als hätte sie Harrys Betrug an Nora persönlich genommen, als hätte er auch ihr wehgetan.
»Es tut mir leid, Anna«, sagte ich. »Das wollte ich nicht.«
»Schon gut«, sagte sie mit einer abwinkenden Handbewegung und sammelte sich. »Ich hab halt etwas gemacht, was ich nicht hätte machen sollen. Kann ich Ihnen vertrauen?«
»Natürlich«, log ich wieder.
»Irgendwas an ihrem Umgang miteinander war seltsam. Er sagte, sie sei zum Arbeiten gekommen, aber danach sah es mir überhaupt nicht aus. Ich habe einen Spaziergang am Strand gemacht
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