Die Diagnose: Thriller (German Edition)
Stühlen davor. Pagonis stellte sich mit gezücktem Notizbuch in die Ecke, außerhalb meines Gesichtsfelds, und ich richtete den Blick auf Baer.
»Dies ist keine Vernehmung, eher ein Kennenlerntreffen, aber Detective Pagonis wird Notizen machen, wenn das okay ist«, sagte Baer.
Ich sah Joe fragend an. Er musterte die Fingernägel seiner rechten Hand und sagte, ohne den Blick zu heben: »Absolut in Ordnung.«
»Gut, wir stecken mitten in den Vorbereitungen zum Prozess, wie Mr Solomon Ihnen gesagt haben wird, Doktor. Auch wenn noch mehrere Monate vergehen werden, bevor wir vor Gericht gehen. Mr Shapiros Anwalt hat angedeutet, er werde wegen der Tötung auf schuldig plädieren, aber als strafmildernden Umstand geltend machen, dass Shapiro psychisch labil war.«
»Das ist mir bekannt«, sagte ich.
»Sehr gut. Dann wissen Sie auch, dass es um Beweise für den Geisteszustand des Angeklagten zum Zeitpunkt des Vorfalls geht. Wir werfen einen Blick in die Krankenakte und ziehen einen forensischen Psychiater hinzu, der Mr Shapiro untersucht. Normalerweise würden wir davon ausgehen, dass die Verteidigung Sie in den Zeugenstand ruft, weil Sie ihn behandelt haben.«
»Nicht unbedingt«, unterbrach Joe ihn.
»Also, es gibt Ausnahmen. Egal, in diesem Fall ist es wohl nicht so. Ja, die Verteidigung möchte einen forensischen Psychiater hinzuziehen, der Shapiro untersucht, aber nicht Sie. Das wirft für mich natürlich die Frage auf, was die Verteidigung im Zeugenstand nicht aus Ihrem Mund hören will. Das Wahrscheinlichste ist wohl, dass Sie der Meinung sind, dass Mr Shapiro gewusst hat, was er tut, oder?«
Baers Miene war sanft und wissbegierig, und so wie er es formulierte, klang es, als gälte sein Interesse allein der Lösung eines Rätsels, doch er war schnurstracks auf die unangenehme Wahrheit zugeschossen – verbal bewegte er sich um einiges schneller als in persona.
»Ich glaube, ich kann hier ein bisschen Zeit sparen, indem ich Ihnen Dr. Cowpers Position auseinandersetze«, unterbrach Joe ihn. »Er fühlt sich durch die ärztliche Schweigepflicht gebunden und möchte die Einzelheiten seiner Behandlung von Mr Shapiro nicht öffentlich machen.«
»Aber angesichts dieser Verteidigungsstrategie greift die ärztliche Schweigepflicht doch längst nicht mehr«, sagte Baer freundlich.
»Also, zwei Punkte«, sagte Joe und setzte sich auf. »Erstens sind wir von der Verteidigung nicht in Kenntnis gesetzt worden, dass Mr Shapiro seinen Arzt von der Schweigepflicht entbunden hat , und das bräuchten wir, und zwar schriftlich. Zweitens, selbst wenn dem so wäre, würde Dr. Cowper aus ethischen Gründen nicht darüber reden wollen.«
»Das ist richtig«, bestätigte ich gehorsam, obwohl Ethik nicht viel damit zu tun hatte. Ich wollte mich so weit wie möglich vom Scheinwerferlicht fernhalten.
»Das ist sozusagen sein gutes Recht. Wie gesagt, wir möchten uns nur unterhalten. Aber wenn ich ihn in den Zeugenstand rufe, steht er unter Eid, und dann muss er reden, egal was er denkt. Und das habe ich vor«, sagte Baer.
»Das ist Ihr gutes Recht. Aber bis dahin können wir nichts für Sie tun«, erwiderte Joe.
»Schade«, sagte Baer. »Sehr schade. Sie haben einen weiten Weg auf sich genommen, Gentlemen, um mir das zu sagen. Ich hatte gehofft, wir könnten eine Möglichkeit finden, um zu vermeiden, dass Dr. Cowper noch mehr in Schwierigkeiten gerät.«
»Sehr freundlich, aber Ben steckt nicht in Schwierigkeiten, denn er hat nichts falsch gemacht. Es tut mir leid, wenn ich Sie enttäuschen muss«, erwiderte Joe und stand auf, um das Ende des Gesprächs anzudeuten.
Baer ließ seinen Blick ein paar Sekunden auf uns ruhen, bevor er ebenfalls aufstand. Er wirkte nachdenklich, aber nicht mehr ganz so freundlich, als hätte er mich aus einer Kategorie – »potenzieller Verbündeter« – in eine andere – »gegnerischer Zeuge« – gesteckt. Dann kam er um seinen Tisch herum, um uns die Tür zu öffnen, wo Pagonis mir einen empörten Blick zuwarf.
»Was halten Sie davon?«, fragte ich Joe, als wir Baers Verhör entkommen waren und das Gebäude schon, eine halbe Stunde nachdem wir gekommen waren, wieder verließen.
»Der Kerl ist gewiefter, als er vermuten lässt.«
»Er hat gesagt, er ruft mich in den Zeugenstand.«
Er schüttelte den Kopf. »Alles Bluff. Das tut er nicht, solange er nicht weiß, was Sie sagen werden. Zu riskant. Die Verteidigung wird einen forensischen Psychiater finden, der aussagen wird, dass Shapiro labil
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