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Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Titel: Die Diagnose: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gapper
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Stelldichein?
    Während ich die Ohren spitzte, trat ein Mann an meinen Tisch und bat mich um Kleingeld. Ich hatte ihn schon auf der Straße gesehen – eine Robinson-Crusoe-Gestalt mit struppigem grauem Bart, seine weitschweifige Geschichte auf ein Stück Pappe geschrieben. Ich tippte darauf, dass er schizophren war. Mich beschlich oft das Gefühl, dass ich auf dem Weg zur Arbeit mehr Menschen mit psychischen Problemen begegnete als im Krankenhaus selbst. Kurz überlegte ich, mit ihm zu reden, doch dann gab ich ihm bloß einen Dollar.
    In dem Moment kam Underwood in seiner Bankeruniform – italienischer Anzug und senfgelbe Hermès-Krawatte − aus der Tür des Seligman-Gebäudes. Als ihm ein Windstoß eine Locke anhob, strich er sich mit der rechten Hand über die Haare, dann überquerte er die Straße und kam zu mir. Die meisten Leute trugen Mäntel, doch ihm schien die Kälte nichts auszumachen.
    »Hallo, Doktor«, sagte er und umschloss meine Hand mit seinen schlanken Fingern. »Schön, Sie wiederzusehen. Es ist viel Wasser den Bach hinuntergeflossen. Sagt man nicht so?«
    In seinem Blick lag ein gewisses hämisches Vergnügen, das andeutete, dass ich etwas eingestanden hatte, indem ich zu ihm kam.
    »Sehr viel.«
    Er nahm eine Zeitung, die jemand auf meinem Tisch hatte liegen lassen, und fegte damit unsichtbaren Schmutz von dem Stuhl mir gegenüber, bevor er sich setzte und zu den Vertragsverhandlern oder Turteltauben am Nachbartisch schaute. Der Mann nickte ihm fast unmerklich zu.
    »Müssen wir uns hier draußen treffen?«, fragte Underwood angewidert. »Drinnen hätten wir mehr Privatsphäre.«
    »Ich wusste nicht, was Ihnen lieber wäre«, log ich.
    Ich hatte vorgeschlagen, uns hier zu treffen, weil ich Angst hatte hineinzugehen. Ich fürchtete, im Bankgebäude Felix über den Weg zu laufen, und ich wollte ihn nicht in die heikle Situation bringen, mich zu sehen. Ich überlegte auch, ob es sicher war, mich ihm anzuvertrauen. Er hatte deutlich gemacht, dass seine Loyalität nach wie vor bei Harry lag, und schon jetzt hatten genügend Informationen den Weg nach Riverhead gefunden.
    »Na dann«, sagte Underwood und sah sich noch einmal um wie ein Promi, der Aufmerksamkeit erregt, wenn er zu lange an einem Fleck verharrt, »gehen wir.«
    Wir überquerten die Straße und traten durch die Türen in die Lobby von Seligman. Der Boden war aus Marmor, und gegenüber dem Eingang stand ein breiter Tisch, hinter dem eine Reihe von Frauen in einheitlicher Dienstkleidung Besucherpässe ausgaben. Underwood beachtete sie nicht, sondern ging auf die Schranke auf einer Seite zu, wo er den Wachmann, der vortrat, um mich aufzuhalten, mit einem bösen Blick bedachte. Der Mann trat gehorsam zurück und fuhr mit einer Karte an einem Lesegerät vorbei, und die Schranke öffnete sich für mich.
    Ich ging davon aus, dass wir ganz nach oben fahren würden, doch im vierten Stock verließ Underwood den Aufzug, öffnete mit seiner Karte eine Glastür und führte mich in einen Börsensaal mit langen Tischreihen, auf denen unzählige Bildschirme standen, neben- und übereinander, wie Zellen, die sich teilten und vervielfachten.
    Ich war noch nie an so einem Ort gewesen, und ich hatte mir immer vorgestellt, es wäre ein Bienenstock voller Lärm und Aktivitäten, wie die, die man im Fernsehen sieht, wo junge Männer in hellen Jacketts einander zuwinken und durch den Raum rufen. Doch hier herrschte eine nahezu entrückte Atmosphäre, wie in einer Kontrollstation, die überwacht, was auf einem weit abgelegenen Planeten geschieht. In diesem Börsensaal arbeiteten an die tausend Menschen; einige tippten auf Tastaturen herum, aber die meisten schienen gar nichts zu tun. Sie lehnten sich auf ihren Stühlen zurück, blickten mit halber Aufmerksamkeit in den digitalen Raum oder unterhielten sich mit anderen. Niemand wirkte besonders glücklich oder traurig, nur fasziniert von den Zahlen auf den Bildschirmen.
    Eine Frau in einem Hosenanzug ähnlich wie Lauren saß an einem Tisch und unterhielt sich mit drei Männern, die um sie herumstanden. Sie nickten Underwood respektvoll zu, als er vorbeiging und sich durch die Tischreihen in eine Ecke des Saals bewegte. Ich ging neben ihm und sah, wie sich die Köpfe neigten, als wir vorbeikamen. Alle arbeiteten vor aller Augen, hier gab es keine der üblichen Statuszeichen – etwa individuelle Büros mit Sekretärinnen –, doch diese Menschen verdienten vermutlich einiges mehr als ich.
    In der Ecke öffnete

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