Die Diagnose: Thriller (German Edition)
Underwood mir die Tür in eine gläserne Bürobox, deren Fenster über den Broadway blickten, während man durch die anderen Scheiben einen guten Blick über den Börsensaal hatte. An einer der vier Scheiben war das Rollo geschlossen, doch die anderen waren offen, sodass er beobachten konnte, was draußen vor sich ging, und die, die es interessierte, uns beobachten konnten wie Tiere im Zoo. Auf einem Sims standen Fotos von seiner Familie, doch ansonsten fehlte dem Raum jeglicher persönliche Touch, als wäre er hier nur ein kurzfristiger Mieter, der jeden Augenblick auf die Straße gesetzt werden könnte.
Er winkte mich zu einem Lehnstuhl mit Blick über den Saal. Eine Frau kam herein und reichte ihm einen Stapel Papiere, die er mit gerunzelter Stirn überflog, bevor er sie ihr zurückgab. Dann kam er herüber, setzte sich zu mir und grinste.
»Also, Ben, was kann ich für Sie tun?«, fragte er.
Underwood war mir nicht sympathischer als bei unserer ersten Begegnung. Er war wie ein Primat in teurer Kleidung, der mich leicht in Stücke reißen konnte. Er strahlte kaum gezügelte Aggression aus und Verachtung für die Normalsterblichen, die in seiner elitären Welt der Hochfinanz keine Existenzberechtigung hatten. Ich fragte mich, ob es eine Pose war, um Gegner einzuschüchtern, oder ob er wirklich so war. Der ganze Laden strahlte etwas davon aus. Im Augenblick stand er an der Spitze, aber ich konnte mir lebhaft ausmalen, wie ein ganzer Haufen dieser Wertpapierhändler beim leisesten Anzeichen von Schwäche durch die Tür stürmen würden.
»Als wir uns unterhalten haben, draußen vor dem Flugzeug, haben Sie, wenn ich mich recht erinnere, gesagt, alles, was Mr Shapiro widerfahren ist, vor Mr Greenes Tod, habe er allein sich zuzuschreiben. Ich würde gern wissen, was Sie damit gemeint haben.«
Underwood stieß die Luft aus und lachte matt. »Das ist lange her. Ich weiß nicht, was ich damals gesagt habe und was nicht, als Marcus noch lebte. Aber ich weiß noch, dass Sie mir nicht viel erzählt haben, Ben. Nicht einmal Ihren Namen, wenn ich mich recht erinnere.«
»Stimmt. Doch damals lagen die Dinge anders.« Ich sah keinen Grund, mich ausgerechnet bei ihm dafür zu entschuldigen. »Sehen Sie, Mr Underwood. John. Kann ich Sie etwas fragen? Was wissen Sie über meine Rolle in der ganzen Geschichte?«
»Ich habe die Akten gelesen, und ich habe mit der Familie Greene gesprochen. Keine glückliche Geschichte, was? Es gibt Vorwürfe gegen diese Bank und gegen Sie, und ich muss aufpassen, was ich sage. Ich weiß gar nicht, ob wir uns überhaupt unterhalten sollten. Margaret ist eine gute Freundin meiner Frau.«
Ich beugte mich in meinem Sessel vor. Wenn ich ihm irgendetwas entlocken wollte, durfte er mich nicht für eine Bedrohung halten. Obwohl er so vertraulich über die Greenes sprach, bezweifelte ich, dass ihm jetzt, da Marcus, sein Chef und Mentor – der Mann, der Einfluss auf seine Karriere ausüben konnte –, tot war, noch viel an ihnen lag. Aufgrund von etwas, was Laurel gesagt hatte, hatte ich meine Tonlage angepasst.
»Als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, war Mr Shapiro, wie Sie wissen, mein Patient. Ich konnte nicht über ihn reden. Als Banker verstehen Sie das. Sie können auch nicht über die Kunden reden, für die Sie arbeiten. Ich kann Ihnen nichts sagen, was mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut wurde, und erwarte auch nichts dergleichen von Ihnen. Aber meine Karriere steht auf dem Spiel, und ich versuche zu begreifen, warum Mr Shapiro Mr Greene erschossen hat. Können Sie mir helfen?«
Underwood nickte, als könnte er das nachvollziehen. »Ich hätte gedacht, das wäre offensichtlich«, sagte er und zog die Nase kraus. »Die Fusion ging in die Hose. Harry war labil und hat sein eigenes Versagen Marcus angelastet. Er hat ihn erschossen. Ende der Geschichte.«
»Aber was ist schiefgelaufen? Das ist der Teil, den ich nicht verstehe. Ich bin kein Finanzfachmann. Das Ganze hier«, mit einer ausholenden Geste zeigte ich in den Börsensaal hinter den Scheiben, »ist mir ein Rätsel. Es ist Ihre Welt.«
Hatte ich mit meiner Schmeichelei zu dick aufgetragen?, überlegte ich, während Underwood mich ansah. Doch es stellte sich heraus, dass Lauren auch noch in einem anderen Punkt recht gehabt hatte: Ihre Investmentbankerkollegen hatten allesamt große Egos. Er stand auf und nickte mir zu.
»Sie wollen wissen, wie Harry es in den Sand gesetzt hat? Ich zeig’s Ihnen«, sagte er.
Im
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