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Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Titel: Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. Gilbert Welch , Lisa M. Schwartz , Steven Woloshin
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Schicksal durch Früherkennung entronnen wären. Auch andere Menschen mögen aus ihren Erfahrungen oder aus denen ihrer Freunde und Angehörigen ähnliche Schlüsse ziehen. Einige Überzeugungstäter sind sich der Überdiagnosen vielleicht vage bewusst, ziehen aber den einfachen Weg vor und beschäftigen sich nicht mit Details. Oder sie kennen das Problem nicht und wären überrascht, wenn sie davon erführen.
    Eindeutig falsch ist ihre Überzeugung, durch Früherkennung ließen sich Kosten einsparen. Da Vorsorgeuntersuchungen immer dazu führen, dass viel mehr Menschen medizinische Leistungen in Anspruch nehmen, erhöht diese Strategie eher die Kosten. Mehr Menschen werden untersucht; mehr Anomalien (und Überraschungsfunde) werden entdeckt, die genauere Tests erfordern; mehr Menschen gehen zum Arzt oder in eine Klinik und lassen sich behandeln. Die Folge ist, dass die potenziellen Einsparungen bei den wenigen Leuten, die tatsächlich von der Früherkennung profitieren, von den Kosten für die vielen anderen, die keine Vorteile haben, zunichte gemacht werden. 8
Ein komplexes Netzwerk
    Die Aussicht auf hohe Profite und die Bemühungen der wahren Gläubigen beflügelte die Entstehung eines komplexen Netzwerks, das für mehr Diagnosen wirbt.
    Alle wichtigen Spieler – Hersteller, Gesundheitsorganisationen, Wissenschaftler, Patientenvertreter und Politiker – werden von finanziellen Vorteilen und von wahrem Glauben beeinflusst, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Den Herstellern von Medikamenten und medizinischen Geräten geht es im Wesentlichen um den Profit. Einfach ausgedrückt: Mehr Diagnosen bedeuten für sie mehr Patienten und höhere Umsätze. Aber auch sie werden zweifellos ein wenig vom wahren Glauben beeinflusst. Und Sie sollten sich bewusst machen, dass eine solche Verbindung sehr mächtig ist, denn sie bietet die Möglichkeit, Gutes zu tun und sich dabei gut zu fühlen.
    Die Mitglieder von Interessengruppen (zum Beispiel für Diabetiker oder Patienten mit Schilddrüsenkrebs) und politische Entscheidungsträger sind meist wahre Gläubige. Sie befürworten mehr Diagnosen, weil sie glauben, dies komme den Betroffenen und der Gesellschaft zugute. Auch sie profitieren allerdings von der Früherkennung. Versuchen Sie einmal, auf den Websites von Patientengruppen deren wichtigste Sponsoren ausfindig zu machen. Sie werden oft feststellen, dass es sich um einen Produzenten handelt, meist um ein Pharmaunternehmen, der ein unmittelbares finanzielles Interesse an der Behandlung der Krankheit hat. Selbst Politiker lassen sich vom Geld beeinflussen; denn Pharmakonzerne und Anbieter von medizinischen Dienstleistungen gehören zu den größten Parteispendern (in den USA kommen sie an dritter Stelle). 9
    Die Wissenschaftler finden wir irgendwo in der Mitte dieses Spektrums. Da ich selbst einer bin, kann ich Ihnen mehr über uns erzählen. Manche Wissenschaftler sind wahre Gläubige, manche nicht; aber wir alle werden vom Geld beeinflusst, besonders von Subventionen. Der typische Wissenschaftler bekommt Subventionen für spezifische Forschungsprojekte, und Fördermittel sichern oft einen erheblichen Teil seines Einkommens. Es gibt viele Quellen für Subventionen, von der Bundesregierung bis zu den Pharmakonzernen; aber der Bedarf ist stets größer als das Angebot. Es ist schwer, Subventionen an Land zu ziehen. Zunächst hat man eine Menge Schreibarbeit. Das kann kreativ sein, aber es kostet auch schrecklich viel Zeit und hält uns ironischerweise von der eigentlichen Arbeit ab. Danach kommt zusätzlicher Papierkram für die Behörden. Dokumente wie ein Lebenslauf, Empfehlungsschreiben, die Zustimmung der Institution, eine Beschreibung der Forschungsinfrastruktur, ein Anhang, in dem die bisherigen Arbeiten genau beschrieben werden, und so weiter. Ehrlich gesagt, ich habe keine große Lust dazu.
    Und trotz aller Mühe werden die meisten Subventionsanträge abgelehnt. Deshalb denken die Wissenschaftler darüber nach, wie sie ihre Chance, Subventionsgutachter zu überzeugen, vergrößern können. Diese Gutachter sind meist die angesehensten Forscher auf ihrem Gebiet, und viele hängen an konventionellen Ideen und Methoden. Darum überrascht es nicht, dass Wissenschaftler sich meist davor hüten, Projekte vorzuschlagen, die die herkömmliche Meinung in Misskredit bringen könnten. 10 In diesem Kontext ist ein Projekt zur Förderung der Früherkennung eine ziemlich sichere Sache. (Manche von uns pflegten zu scherzen, jedes

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