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Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Titel: Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. Gilbert Welch , Lisa M. Schwartz , Steven Woloshin
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zwischen diesen vier Arten von Krebs unterscheiden kann. Deshalb wissen wir nicht, wer Opfer einer Überdiagnose wurde. Viele hoffen zwar, dass Gentests helfen werden, Karzinome zu identifizieren, die unausweichlich Symptome oder den Tod zur Folge haben; aber diese Forschungen stecken noch in den Kinderschuhen, und es wird Jahre dauern, bis wir wissen, wie hilfreich sie sind. Einstweilen müssen drei Kriterien erfüllt sein, wenn wir sicher sein wollen, dass bei einem Menschen eine Überdiagnose vorliegt: Er wird nie behandelt, bekommt nie Krebssymptome und stirbt letztlich an etwas anderem. Da jedoch die meisten Menschen, bei denen eine Diagnose gestellt wurde, auch behandelt werden, geschieht dies selten.
Hinweise auf Prostatakrebs-Überdiagnosen in der Bevölkerung
    Es ist extrem schwierig festzustellen, ob ein Individuum Opfer einer Überdiagnose wurde, aber es ist relativ einfach herauszufinden, ob dies für eine Bevölkerungsgruppe zutrifft. Um auf Überdiagnosen zu schließen, brauchen wir nur die Zahl der Krebsdiagnosen und der Krebstodesfälle im Laufe der Zeit miteinander zu vergleichen. Abbildung 4.6 zeigt zwei unterschiedliche Muster einer schnell zunehmenden Zahl von Diagnosen. Das eine ist ein starker Hinweis auf Überdiagnosen, das andere nicht.

    Abbildung 4.6 Zwei unterschiedliche Muster einer schnell zunehmenden Zahl von Diagnosen
    Auf der linken Grafik in Abbildung 4.6 nimmt die Zahl der Krebsdiagnosen ebenso zu wie die Zahl der befürchteten Folgen: der Todesfälle. Das lässt darauf schließen, dass die neuen Diagnosen aussagekräftig sind und dass die Zahl der bedeutsamen Krebsfälle (im Gegensatz zu den sehr langsamen oder nicht-progressiven Karzinomen) tatsächlich gestiegen ist. 12
    Auf der rechten Grafik geht die Zunahme der Krebsdiagnosen nicht mit einer Zunahme der Krebstodesfälle einher. Das deutet darauf hin, dass zwar mehr Diagnosen gestellt wurden, die Zahl der bedeutsamen Krebsfälle jedoch nicht zugenommen hat. Hier können wir auf Überdiagnosen schließen, das heißt, es wurden sehr langsame oder nicht-progressive Karzinome entdeckt.
    Manche Ärzte haben eine andere Erklärung für den rechten Teil der Abbildung, nämlich, dass die Zahl der Karzinome, die den Patienten schaden, tatsächlich gestiegen ist, dass jedoch diagnostische und therapeutische Fortschritte die Zunahme der neuen Fälle aufwiegen, sodass die Gesamtzahl der Krebstodesfälle gleich bleibt. Diese Erklärung erfüllt das wissenschaftliche Sparsamkeitsprinzip gewiss nicht. Sie ist zwar möglich, strapaziert aber unsere Gutgläubigkeit; denn sie müsste zwei Voraussetzungen erfüllen (echte Zunahme der Krebsfälle und bessere medizinische Versorgung), nicht nur eine (Überdiagnosen). Mehr noch, sie setzt eine heroische Annahme voraus: dass die Verbesserung der Diagnose und Therapie die Zahl der Neuerkrankungen genau wettmacht . Würden die Fortschritte in der Therapie die Zahl der Krebsfälle überkompensieren, müsste die Sterblichkeit sinken. Würde die Zahl der Krebsfälle die therapeutischen Fortschritte überkompensieren, müsste die Sterblichkeit steigen. Ändert sich die Sterblichkeit nicht, müsste die Zunahme der Krebserkrankungen die therapeutischen Fortschritte exakt kompensieren. Das ist schwer zu glauben.
    Betrachten Sie nun einmal die Zahl der Prostatakrebsdiagnosen und die Todesrate bei amerikanischen Männern. Abbildung 4.7 zeigt diese Daten aus dreißig Jahren, von 1975 bis 2005 (sie sind dem Surveillance Epidemiology and End Results Program, besser bekannt als SEER, entnommen, dem amerikanischen Krebsregister 13 ).

    Abbildung 4.7 Neue Prostatakrebsdiagnosen und Todesfälle in den Vereinigten Staaten von 1975 bis 2005
    Die obere Linie, die Zahl der Prostatakrebsdiagnosen, schwankt stark. Die untere Linie, die Zahl derer, die an Prostatakrebs gestorben sind, ist ziemlich stabil. Die obere Linie ähnelt eher einer unbeständigen Aktienkurve als einer Darstellung der Krebshäufigkeit. Ich kenne keinen einzigen Krebsforscher, der glaubt, diese Kurve spiegle Veränderungen der Prostatakrebsbiologie wider. Sie zeigt vielmehr, dass die medizinische Praxis sich geändert hat, vor allem unsere Praxis bei der Diagnose des Prostatakarzinoms.
    Von 1975 bis 1986 stieg die Zahl der Diagnosen um etwa 2 Prozent jährlich und spiegelte fast exakt die vermehrte Anwendung einer urologischen Operation wider, die als transurethrale Resektion der Prostata oder TURP bekannt ist. Dieser Eingriff wurde bei Männern

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