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Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Titel: Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. Gilbert Welch , Lisa M. Schwartz , Steven Woloshin
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heute, dass die Zahl der Prostatakarzinome, die wir entdecken, unmittelbar davon abhängt, wie gründlich wir nach ihnen suchen. Wenn wir mehr Biopsien vornehmen, finden wir mehr; wenn wir den PSA-Schwellenwert für die Biopsie senken, finden wir mehr. Das alles ist aus einem einfachen Grund möglich: Es gibt ein riesiges Reservoir unentdeckter Prostatakrebsfälle. Und das ist keine bloße Theorie. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben wir einen drastischen Anstieg der Prostatakrebsdiagnosen erlebt. Während heftig darüber gestritten wird, ob der PSA-Test die Zahl der Prostatakrebstoten verringert, gibt es kaum Streit über seine Auswirkungen auf die Zahl der Prostatakrebsdiagnosen. Er hat dazu geführt, dass über eine Million Männer zusätzlich die Diagnose »Prostatakrebs« erhielten und deswegen behandelt wurden.
    Unsere Erfahrungen mit der Prostatakrebs-Vorsorgeuntersuchung zeigen kristallklar, dass das Ziel der Krebsvorsorgeuntersuchung nicht nur darin bestehen darf, mehr Karzinome zu finden. Das wäre zu einfach. Das wahre Ziel der Krebsvorsorgeuntersuchung ist viel differenzierter: Wir müssen die richtigen Karzinome finden, die Karzinome, die gefährlich sind. Natürlich schließen die Überdiagnosen nicht aus, dass einigen Männern geholfen wird. Wahrscheinlich hat die Untersuchung Vorteile und Nachteile: Vielleicht können wir damit einigen Männern den Tod durch Prostatakrebs ersparen, wenn auch auf Kosten vieler Überdiagnosen. Wir müssen also die mögliche Verringerung der Todesfälle gegen das Risiko abwägen, Opfer einer unnötigen Diagnose zu werden und an Nebenwirkungen wie Impotenz, Inkontinenz und chronischem Durchfall zu leiden. Meiner Meinung nach besteht derzeit kein ausgewogenes Verhältnis zwischen beiden Möglichkeiten.
    Wenn Sie mich fragen, ist Professor Richard J. Ablin von der University of Arizona der gleichen Meinung. Er veröffentlichte kürzlich in der New York Times einen Kommentar mit dem Titel »The Great Prostate Mistake« (Der große Prostata-Fehler). 24 Darin heißt es: »Der Test ist kaum effektiver als das Werfen einer Münze«, und: »Er kann nicht zwischen den zwei Arten von Prostatakrebs unterscheiden – zwischen dem, der Sie umbringt, und dem, der das nicht tut.« Warum ist seine Auffassung so wichtig? Weil er das PSA entdeckt hat. Und er hat nie davon geträumt, dass seine Entdeckung eine derartige »vom Profit getriebene öffentliche Gesundheitskatastrophe« auslösen würde.
    Vielleicht fragen Sie sich nun, ob die Prostatakrebs-Vorsorgeuntersuchung ein Sonderfall ist. Dem ist nicht so. Sie liefert uns vielmehr einige Erkenntnisse über die Probleme der Früherkennung bei anderen Krebsarten.

Kapitel 5
Wir suchen intensiver nach anderen Krebsarten
    Es ist verführerisch zu glauben, der Prostatakrebs sei ein besonderer Fall – der einzige Krebs, bei dem Überdiagnosen eine wichtige Rolle spielen.
    Natürlich hat der Prostatakrebs viele einzigartige Merkmale, die Überdiagnosen zu einem Problem machen. Erstens suchen wir wirklich intensiv nach Prostatakarzinomen, möglicherweise zu intensiv. Zweitens gibt es keine andere weitverbreitete Krebsart, die einen Blindflug verlangt und uns zwingt, dem gesamten Organ systematisch Gewebeproben zu entnehmen (anstatt einem abnormen Gewebe, das wir sehen können). Das Wichtigste ist, dass der Prostatakrebs häufiger als andere Krebsarten bei den Menschen vorkommt, deren allgemeines Sterberisiko ohnehin am höchsten ist – bei älteren Männern – und bei denen ein langsam wachsendes Karzinom möglicherweise keine Zeit hat, Probleme zu verursachen.
    Darum könnte man Prostatakrebs leicht für einen Sonderfall halten. Wenn Sie das tun, befinden Sie sich in guter Gesellschaft, weil viele Ärzte vermutlich dasselbe glauben. Aber Sie und diese Ärzte irren sich. Neuere Studien lassen darauf schließen, dass Überdiagnosen in gewissem Umfang bei der Krebsvorsorgeuntersuchung die Regel sind, nicht die Ausnahme.
    Doch bevor ich darauf zu sprechen komme, möchte ich klarstellen, was ich nicht behaupte. Ich behaupte nicht, dass Schilddrüsenkrebs, Melanome, Brustkrebs und Lungenkrebs keine schrecklichen Krankheiten sind. Jede von ihnen kann sich rasch im ganzen Körper ausbreiten – also Metastasen bilden – und zum Tod führen. Wenn Sie frühe Anzeichen für diese Krebsarten oder Symptome bemerken, rate ich Ihnen nicht davon ab, Ihren Arzt aufzusuchen. Im Gegenteil: Wenn Sie im Hals oder in der Brust einen Knoten haben, der

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