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Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Titel: Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. Gilbert Welch , Lisa M. Schwartz , Steven Woloshin
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etwa 15 Prozent senkt. 7 Um mögliche Ungenauigkeiten zu berücksichtigen (und mit einer hübschen runden Zahl arbeiten zu können), gehe ich von einer optimistischeren Schätzung aus: von einer Reduzierung um 20 Prozent. Würden alle Frauen an Brustkrebs sterben, wäre dies ein gewaltiger Nutzen – wir bräuchten nur fünf Frauen zu untersuchen, um einen Todesfall zu verhindern. Natürlich sterben die meisten Frauen nicht an Brustkrebs; daher kann die Mammografie ihnen nicht helfen.
    Die Situation ist mit der Beziehung zwischen dem Grad der Anomalie und dem Nutzen der Behandlung vergleichbar: Menschen mit geringeren Anomalien profitieren logischerweise weniger von der Therapie als jene mit schweren Anomalien. Bei der Vorsorgeuntersuchung sollten wir an das Spektrum des Risikos denken: Menschen mit geringem Erkrankungsrisiko haben von der Untersuchung notwendigerweise einen geringeren Nutzen als eine Hochrisikogruppe. Deshalb tritt niemand für eine Mammografie bei Männern ein, obwohl auch Männer an Brustkrebs sterben, wenngleich selten.
    Mit Ausnahme einiger relativ seltener Genmutationen ist das Alter der bei Weitem wichtigste Risikofaktor für Brustkrebs bei Frauen. Die beste Methode, den Nutzen der Mammografie zu messen, besteht also darin, ihn mit dem Alter in Beziehung zu setzen, wie in Tabelle 6.1.
    Tabelle 6.1 Der Nutzen der Mammografie 8
Von 1000 Frauen, die 10 Jahre lang geröntgt werden, haben
Alter
einen Nutzen (Tod durch Brustkrebs wird verhindert)
keinen Nutzen
40
0,5
999,5
45
0,7
999,3
50
1
999
55
1,4
998,6
60
1,7
998,3
65
2
998
70
2,3
997,7

    Zwei Fakten stechen in der Tabelle hervor. Erstens: Die meisten Frauen haben von der Mammografie keinen Nutzen. Zum Beispiel müssen wir rund zweitausend Vierzigjährige zehn Jahre lang röntgen, damit eine Frau davon profitiert. Der Grund dafür ist einfach: Die meisten Frauen bekommen keinen Brustkrebs. Und von den wenigen, die ihn bekommen, können wir mehr als zwei Drittel genauso gut behandeln, einerlei, wie die Krankheit diagnostiziert wird. 9 Das heißt, dass noch weniger an Brustkrebs sterben. Und die Mammografie hilft nur einer von fünf dieser Frauen, dem Tod zu entrinnen.
    Zweitens: Obwohl der Nutzen mit dem Alter steigt, gibt es kein bestimmtes Alter, ab dem wir parallel zur Größe des Nutzens eine Linie ziehen könnten. Der Nutzen steigt stetig, aber nie drastisch. Das liegt zum Teil an der künstlichen Annahme, dass wir die Zahl der Todesfälle in jedem Alter gleich stark verringern können. Aber es gibt einige Gründe zu der Annahme, dass die Mammografie bei Frauen in den Vierzigern weniger effektiv ist. Diese Frauen haben meist ein dichteres Brustgewebe (in dem Knoten schwieriger zu entdecken sind), und bei den wenigen jungen Frauen, die an Brustkrebs erkranken, wachsen die Tumore meist schnell (dieser Krebstyp wird beim Röntgen häufiger übersehen, weil er zwischen den Untersuchungen auftritt). Doch selbst wenn die Zahl der Frauen in den Vierzigern, die von einer Mammografie profitieren, ein wenig sinken würde, 10 müssten wir auf die Frage, ob sie sich einer Mammografie unterziehen sollten oder nicht, wahrscheinlich antworten: Das hängt eher von der persönlichen Einstellung ab als vom Alter. Es kommt darauf an, wie eine Frau die Vor- und Nachteile abwägt.
Angebliche, aber nicht reale Vorteile der Mammografie
    Ich werde oft nach drei angeblichen Vorteilen der Mammografie gefragt: weniger Metastasen, eine weniger aggressive Therapie und das wichtige Gefühl, dass alles in Ordnung ist. Leider lassen die Fakten darauf schließen, dass diese »Vorteile« begrenzt oder gar nicht vorhanden sind.
    Man nimmt oft an, dass die Mammografie nicht nur die Brustkrebssterblichkeit senkt, sondern auch die Gefahr einer Metastasenbildung. Damit ist ein Karzinom gemeint, das sich über die Brust hinaus ausbreitet und andere Organe erfasst, zum Beispiel die Lungen, die Knochen, das Gehirn oder die Leber. Die randomisierten Studien befassen sich nicht speziell mit dieser Frage. Leider sind Metastasen und Tod durch Brustkrebs ziemlich genau das Gleiche. Mit anderen Worten: Die meisten Frauen mit metastasierendem Brustkrebs sterben letztlich an Brustkrebs (den SEER-Daten zufolge sind es etwa 90 Prozent). Das geringere Risiko der Metastasenbildung ist demnach größtenteils bereits im verringerten Sterberisiko enthalten. Trotzdem können wir vielleicht einige wenige Frauen, die letztlich an anderen Krankheiten sterben, vor einer Metastasenbildung bewahren.

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