Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)
Schilddrüse, erstellt von der Amerikanischen Gesellschaft der Endokrinologen. 1 Dort erfahren Sie Folgendes: »Schilddrüsenkrebs gehört zu den Krebsarten, die sich in Amerika am schnellsten ausbreiten und die am leichtesten zu heilen sind.«
Dieser Satz enthält zwei Behauptungen: 1. Schilddrüsenkrebs ist ein großes Problem (weil er sich schnell ausbreitet). 2. Wir können ihn besiegen (weil er leicht heilbar ist). Die Kombination »großes Problem« und »heilbar« soll offenbar begründen, dass es einen Grund gibt, sich untersuchen zu lassen.
Die erste Behauptung ist sachlich richtig. Es gibt immer mehr Fälle von Schilddrüsenkrebs in Amerika. Dennoch ist er noch relativ selten: Weniger als zwei von tausend Menschen werden in den nächsten zehn Jahren die Diagnose »Schilddrüsenkrebs« erhalten. 2 Und niemand, der die Volksgesundheit im Auge hat, würde behaupten, Schilddrüsenkrebs sei eine große, wachsende Bedrohung für Amerikaner. In den letzten dreißig Jahren hat sich die Zahl der Menschen, die pro Jahr daran sterben, nicht erhöht. Überdiagnosen sind die große, wachsende Bedrohung, nicht der Schilddrüsenkrebs.
Der zweite Teil der Botschaft – Schilddrüsenkrebs gehöre zu den Krebsarten, die »am leichtesten zu heilen sind« – ist noch irreführender. Es stimmt, dass es Patienten mit Schilddrüsenkrebs im Vergleich zu anderen Krebspatienten gut geht. Aber das Wort heilen soll uns glauben machen, dies sei die Folge der medizinischen Behandlung. Wenn Sie jedoch an mögliche Überdiagnosen denken, fällt Ihnen eine andere Erklärung ein: Bei einigen Patienten gibt es nichts zu heilen.
Sie lesen weiter: »Zum Glück haben die meisten Arten von Schilddrüsenkrebs eine sehr gute Prognose, wenn ein fachkundiger Arzt sie früh diagnostiziert und behandelt.«
Jetzt ist die Botschaft klar. Der Schlüssel zum Überleben – zu einer »sehr guten Prognose« – sind Früherkennung und gute medizinische Versorgung. Und für den Fall, dass Sie es immer noch nicht kapiert haben, ist meist noch eine Fallgeschichte beigefügt. Die hört sich etwa so an: 3
Alles begann 2008. Michelle hatte Ohrenschmerzen. Während der Untersuchung bemerkte der HNO-Arzt einen Knoten in ihrem Hals. Er empfahl einen Bluttest und danach eine Biopsie.
»Ich hatte großes Glück, dass er ihn bemerkte. Ohrenschmerzen sind ja kein typisches Symptom bei Schilddrüsenproblemen, und meine Schilddrüse war kaum vergrößert«, sagte Michelle. »Ich beschloss, den Rat des Arztes zu befolgen.«
Ohrenschmerzen sind kein Symptom für Schilddrüsenstörungen. Trotzdem tastet der Arzt Michelles Hals ab. Mit anderen Worten, er untersuchte sie rein vorsorglich. Und entdeckte einen Schilddrüsentumor. Die Geschichte geht weiter:
Obwohl der Krebs früh entdeckt wurde, hatte Michelle Angst. Darum rief sie ihre Mutter in Philadelphia an. »Ich dachte, meine Mutter weiß, was ich tun soll«, erinnert sich Michelle. Sie verbrachte die Woche »wie benebelt«. Ihre Mutter sorgte dafür, dass sie im Fox Chase Cancer Center behandelt wurde. Ein Chirurg, der auf Kopf- und Halsoperationen spezialisiert war, entfernte die Schilddrüse in einer fünfstündigen Operation vollständig.
Einen Monat nach der Operation unterzog sich Michelle einer Therapie mit radioaktivem Jod. Danach begann sie, ein synthetisches Schilddrüsenhormon einzunehmen, um das fehlende Schilddrüsenhormon zu ersetzen und Schilddrüsenkrebs zu behandeln.
»Die Stabilisierung meiner Schilddrüse war einer der schwierigeren Aspekte des ganzen Prozesses, weil die Schilddrüse den Stoffwechsel reguliert. Heute geht es mir wunderbar.«
Im September 2006 nahm Michelle zum ersten Mal an einem Triathlon teil und sammelte rund 4000 Dollar für die Leukämie- und Lymphom-Gesellschaft.
»Außerdem helfe ich ehrenamtlich Frauen mit Schilddrüsenkrebs«, sagt Michelle. »Viele Menschen hören das Wort ›Krebs‹ und drehen durch, ohne zu begreifen, dass man diesen Krebs gut behandeln kann. Ich teile meine Erfahrungen mit ihnen, um ihnen Kraft zu geben.«
Trotz dieser überzeugenden Geschichte haben Sie im Grunde nichts darüber erfahren, ob es sich lohnt, Schilddrüsenkrebs frühzeitig zu diagnostizieren. Sie haben lediglich etwas über die Erfahrungen einer Frau mit einer Nebenwirkung der Therapie mitbekommen: Es kann schwierig sein, nach der Entfernung der Schilddrüse die Hormonersatztherapie richtig einzustellen. Aber es gibt keine harten Fakten, die Ihnen bei der Entscheidung helfen
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